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Das elektronische Glück

Titel: Das elektronische Glück
Autoren: dieverse Autoren
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zwischen seinen feinen, dünnen Fingern und schreibt eine Formel an die Tafel.
     Ich denke bei mir und flüstere es fast vor mich hin: »Ach, deine Kenntnisse über die Tätigkeit der lebenden Zelle, deine Angaben über das ›Molekulargedächtnis‹, mein Freundchen, die sind seit fast fünfhundert Jahren schon veraltet.«
     Und wieder bestraft er meinen Vorwitz. Ist er vielleicht ein Telepath, der aus der Entfernung Gedanken lesen kann? Abermals spricht er das in seinem Munde unmögliche Wort aus. Er sagt: »Dilnea.«
     Ich frage das Mädchen zum zweitenmal: »Hat er von der Dilnea gesprochen?«
     Sie schaut mich verwundert an. Dann antwortet sie ärgerlich: »Wir wollen lieber zuhören, was der Lektor sagt!«
     Also gut. Ich höre aufmerksam zu. Wieder alte Kamellen, hundert Jahre alte Kamellen über Biophysik und Biochemie. Ich sage mir: Raurbef, was ist heute nur in dich gefahren? Ist die Erde daran schuld, daß das Leben auf ihr jünger ist als auf der Dilnea? Bleib sitzen, halt aus und hör zu, wenn du schon einmal hergekommen bist.
     Ich sehe nach dem Podium hin und gerate außer mir. Der Lektor macht eine Pause und schaut mich an. Und dabei lächelt er. In seinem Lächeln liegt etwas Geheimnisvolles, und die Worte, die er dann ganz vertraulich, nicht sehr laut, aber doch deutlich vernehmbar ausspricht, so als wende er sich nicht an den Saal, sondern nur an mich allein, bestätigen meinen Verdacht.
     »Sind Sie damit einverstanden«, fragt er plötzlich, »daß die Bewohner der Dilnea auf eine ganz andere Art denken als wir, die Menschen auf der Erde?«
     Das Wort »Sie« hob er durch eine besondere Intonation hervor, wodurch es einen undefinierbaren, seltsamen Sinn erhielt, so als befänden sich entgegen den Tatsachen nur zwei Leute im Saal: er und ich.
     Aber ich schweige. Der Alte sieht mich verwundert an. Auch die Studentin blickt mich an, als erriete sie, daß sich die Lektion in einen Dialog zwischen dem Vortragenden und dem seltsamen jungen Mann verwandelt hat, dessen Gesichtsausdruck so schnell und oft wechselt.
     Ich schweige und grüble beunruhigt darüber nach, woher er die Dilnea und mich kennen kann, er ist doch nur ein Lektor. Vielleicht ist er Telepath und liest jetzt in meinen geheimsten Gedanken wie in einem aufgeschlagenen Buch?
     Nein, das war nur ein rhetorischer Kunstgriff. Jetzt sieht er nicht mehr mich an, sondern den neben mir sitzenden Alten. Hat er wirklich von der Dilnea gesprochen? Das ist sehr zu bezweifeln. An allem ist mein krankhafter Argwohn schuld.
     Und trotzdem, als die Lektion zu Ende ist, nähere ich mich dem Lektor, um den viele Menschen herumstehen, und frage ihn leise: »Mir scheint es, als hätten Sie von der Dilnea erzählt?«
     Und er entgegnet, ohne sich im geringsten über meine Frage zu wundern: »Das schien Ihnen nicht nur so, sondern ich habe in der Tat von diesem fernen Planeten erzählt.«

    6

    Der Lektor hat natürlich Vor- und Familiennamen. Gustav Pawlowitsch Tunjawski heißt er.
     Er ist Astrobiologe und Belletrist. Zwei Berufe, wenn man den dritten nicht rechnet, das Propagieren wissenschaftlicher und technischer Ideen. Eine kurze Darstellung seines Lebens und Wirkens fand ich in zwei Enzyklopädien: in der kosmischen und in der über Literatur. Woher wußte er Bescheid über die Existenz der Dilnea? All diese Tage denke ich unablässig über ihn nach, über diesen rätselhaften Menschen. Ist er überhaupt ein Mensch? Menschen können doch nichts von dem wissen, was ihre Erfahrung und die Möglichkeiten der modernen Wissenschaft überschreitet. Doch wenn er kein Mensch ist, was ist er dann? Stammt er ebenso von der Dilnea wie ich? Nein, das ist ausgeschlossen. Nur mir allein ist es gelungen, Raum und Zeit zu überwinden und die Erde zu erreichen.
     Das erstens, und zweitens hat er ein viel zu irdisches Äußeres. Was kostet ihn nicht alles seine Manier, mit der Stimme zu spielen und mit der Intonation zu kokettieren. Ein Dilneaner würde seine Zuflucht niemals zu so billigen Theatertricks nehmen. Auch sein Mund ist menschlich, Spuren einer plastischen Operation habe ich nicht bemerkt. Woher kann er also wissen, was andere nicht wissen?
     Antwort auf diese Frage muß ich bald erhalten, und zwar von ihm selbst. Bevor ich jedoch zu ihm gehe, muß ich mich mit seinen Arbeiten vertraut machen. Der kybernetische Bibliograph der Universitätsbibliothek gibt mir alle notwendigen Auskünfte. Nachdem ich die bestellten Bücher erhalten habe,
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