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Das einzige Kind

Das einzige Kind

Titel: Das einzige Kind
Autoren: Anne Holt
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wie eine Holzpuppe und antwortete so einsilbig wie möglich. Als Hanne, eher in einem Anfall von menschlichem Interesse und nicht, weil das für die Ermittlungen unbedingt nötig war, gefragt hatte, warum, war Maren Kalsviks Gesicht womöglich noch ausdrucksloser geworden. Diese Frage wollte sie nicht beantworten.
    Zwei Dinge jedoch behauptete sie immer wieder, jedesmal wenn Hanne glaubte, sie in eine Ecke gedrängt zu haben. Agnes habe ihr nie gesagt, daß sie sie durchschaut hatte, und sie habe nichts mit dem Mord an der Heimleiterin zu tun.
    »Ich hatte doch keine Ahnung, daß sie es wußte«, sagte sie.
    »Ich hatte einfach keinen Grund, Agnes umzubringen.«
    Hanne Wilhelmsen steckte sich eine Zigarette an und legte die Beine auf den Tisch. Dann starrte sie eine Weile ins Leere und schloß schließlich die Augen. Doch nun sah sie Olavs schweren, toten Leib vor sich, und rasch riß sie sie wieder auf. Forschend blickte sie die andere Frau an.
    »Irgendwie haben Sie den Jungen geliebt«, sagte sie leise.
    Maren Kalsvik zuckte mit den Schultern, ließ sich aber nicht zu einem anderen Gesichtsausdruck verleiten.
    »Das habe ich Ihnen angesehen. Sie haben ihn geliebt, nicht wahr?«
    Sie hatte nicht geweint. Sie hatte den Jungen umklammert, aber als sie endlich begriffen hatte, daß er tot war, hatte sie ihn losgelassen, war aufgestanden und hatte ihr Gesicht zu der erstarrten Maske gemacht, die sie seither nicht wieder abgelegt hatte. Und diese Maske ging Hanne inzwischen auf die Nerven.
    »Also«, sagte sie, als Maren Kalsvik zwei Minuten lang Zeit für eine Antwort gehabt hatte, ohne diese Gelegenheit zu nutzen.
    »So kommen wir nicht weiter. Und es wird spät. Also werde ich Ihnen erzählen, was ich glaube. Danach können Sie sich in eine Zelle setzen und sich über Nacht alles noch einmal überlegen.
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    Und sich fragen, ob es nicht besser wäre, das zu bestätigen, was wir ohnehin schon wissen.«
    Das mit der Zelle war ein Trick. Aber er wirkte. Im einen Mundwinkel der Frau tauchte ein winziges, fast unsichtbares Zittern auf und blieb dort. Ziemlich lange sogar.
    Hanne erhob sich und ging um den Schreibtisch herum. Sie setzte sich darauf und schlug die Beine übereinander. Maren Kalsvik saß einen Meter von ihr entfernt und starrte einen Punkt auf ihrem Bauch an.
    »Sie hatten an dem Tag einen Zahnarzttermin. Agnes hat sich so lange mit Terje unterhalten, daß ihr Gespräch mit Ihnen ausfallen mußte. Sie mußten ja zum Zahnarzt. Ich kann mir vorstellen, daß das Agnes überhaupt nicht recht war. Sie war an diesem Tag sicher schlecht gelaunt. Was ja nur begreiflich ist.
    Ein Betrug nach dem anderen von Seiten des Personals.«
    Maren starrte immer noch einen Punkt auf Hannes Pullover an, aber Hanne sah, daß das Zittern in ihrem Mundwinkel sich nicht gelegt hatte.
    »Vielleicht wollte Agnes kein großes Geschrei machen.
    Vielleicht hatten Sie auch noch weitere Pläne für den Tag. Das weiß ich nicht. Aber ich glaube doch, daß sie Sie gebeten hat, noch einmal ins Heim zu kommen. Am späten Abend. Vorher wollte sie ihr eigenes Kind ins Bett bringen. Und im Kinderheim Ruhe einkehren lassen. Was weiß ich. Vielleicht ahnten Sie ja schon, daß Ihnen Unannehmlichkeiten bevorstanden.
    Vermutlich sogar, denn Agnes hat auf dieser Unterredung sicher bestanden. Auf jeden Fall …«
    Sie stand auf und setzte sich wieder hinter den Schreibtisch.
    Dann zog sie aus einer Schublade ein Blatt Papier und faltete daraus ein Flugzeug.
    »Auf jeden Fall sind Sie zurückgekommen. So gegen elf vielleicht. Sie waren ganz leise, denn Sie wissen genau, daß einige von den Kindern um diese Zeit gerade einschlafen.
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    Vielleicht haben Sie auch bei Eirik Vassbunn hereingeschaut, um guten Abend zu sagen, aber er schlief, und Sie haben ihn nicht geweckt. Sicher aus purer Rücksichtnahme.«
    Sie faltete und faltete.
    »Aber es kann natürlich auch andere Gründe gehabt haben.
    Jedenfalls hat er Ihr Kommen nicht bemerkt.«
    Das Flugzeug war fast fertig. Sie nahm sich noch ein Blatt und riß sorgfältig einen Streifen für das Heck ab.
    »Dann haben Sie erfahren, worum es ging. Oder welche Beweise Agnes hatte. Oder es wurde Ihnen gekündigt. Irgend etwas hat Sie jedenfalls erschüttert.«
    Hanne ließ ihren Blick vom Flugzeug zu der anderen Frau wandern. Deren Gesicht war noch immer ausdruckslos. Fast wie in Stein gehauen. Aber das störte Hanne nicht mehr. Jetzt war es ein gutes Zeichen. Ein verdammt gutes Zeichen.
    »Sie waren bestimmt
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