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Das einzige Kind

Das einzige Kind

Titel: Das einzige Kind
Autoren: Anne Holt
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lächelte nachsichtig und zog seinen Ohrenstecher wieder hervor. Jetzt bohrte er sich damit im anderen Ohr herum.
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    »Dafür werden wir sie schon zur Verantwortung ziehen«, sagte er und legte den Kopf schräg. »Aber das geschieht still und ruhig und ohne Festnahme. Ganz undramatisch. AU!«
    Er zog die mißhandelte Büroklammer aus dem Ohr und starrte sie unzufrieden an. Dann fuhr er mit Daumen und Zeigefinger daran entlang, wischte sich das Ohrenschmalz am Hosenbein ab und stand auf.
    »Ich empfehle euch, sie zu einem weiteren Verhör zu bitten.
    Nehmt sie in die Mangel, und drückt Däumchen, daß sie alles zugibt. Sie muß doch inzwischen ziemlich mürbe sein.«
    Dann lächelte er und verschwand.
    »Dreckskerl«, sagte Hanne halb laut, als sie die Tür hinter ihm schloß, und hoffte, daß er es gehört hatte.
    Der Abteilungschef lächelte durchaus nicht, aber auch er verließ sie nun.
    »Aber er hat recht«, sagte Billy T. trocken, als sich die Tür zum zweitenmal schloß.
    »Ich finde es schrecklich, wenn solche Leute recht haben.«
    »Du findest es schrecklich, wenn andere als du recht haben, das kann ich dir sagen.«
    »Puh!«
    Sie verpaßte ihm eine Kopfnuß.
    »Aber was machen wir jetzt?«
    »Wir könnten sie herbestellen und das damit begründen, daß unser Verhör heute morgen nicht zu Ende geführt werden konnte«, schlug er ohne erkennbare Begeisterung vor.
    »Und dann bittet sie wieder darum, daß das Verhör im Heim stattfindet, und wir bestehen darauf, daß sie herkommt«, sagte Hanne in aufgesetzt monotonem Tonfall.
    »Und sie kapiert nicht, warum das nicht bis Montag Zeit hat, und wir werden noch strenger und zitieren sie auf der Stelle her, 250
    und damit riskieren wir, daß sie uns durchschaut. Und dann hat sie alle Zeit der Welt, um alle Beweise zu vernichten, die es gibt in diesem …« Sie explodierte. » … verdammten Fall! «
    Der Stadtplan, der ziemlich neu und mehr als nützlich war, wurde innerhalb weniger Sekunden in einen Ball aus zusammengeknülltem Papier verwandelt. Den warf Hanne an die Wand, dann hob sie ihn leicht beschämt wieder auf und untersuchte vorsichtig, ob der Stadtplan noch zu retten war.
    Dann hörten sie plötzlich Rufen, Johlen und lauten Jubel vom Flur her. Sie tauschten einen Blick und versuchten beide, überhaupt nicht neugierig zu sein. Sie brauchten nicht lange zu warten, denn gleich darauf wurde die Tür aufgerissen, und Oberwachtmeisterin Synnøve Lunde sprang ins Zimmer.
    »Wir haben den Kerl! Den Doppelmörder von Smestad! Wir haben ihn erwischt, als er auf die Fähre nach Kopenhagen wollte.«
    Dann sprang sie wieder hinaus.
    Hanne Wilhelmsen und Billy T. wechselten düstere Blicke.
    »Komm, wir holen uns Maren Kalsvik«, entschied Hanne.

    Im Kinderheim Frühlingssonne war die Lage alles andere als befriedigend. Die Dienstpläne konnten wegen der Todesfälle und Krankschreibungen nicht eingehalten werden, und Maren Kalsvik hatte mit der Organisation alle Hände voll zu tun. Die Kinder nutzten die Situation natürlich aus. Sie lärmten mehr, stritten sich mehr und dehnten alle Grenzen aus, die sich nur ausdehnen ließen. Raymond machte so ziemlich, was er wollte, aber das war weniger besorgniserregend als die Tatsache, daß Glenn am Vormittag beim Ladendiebstahl erwischt worden war.
    Anita redete mit niemandem und wirkte stocksauer. Maren hatte den Verdacht, daß ihr Freund Schluß gemacht hatte. Die Zwillinge hatten es sich in den Kopf gesetzt, Jeanette zum Wahnsinn zu treiben, und am Vorabend hätten sie das fast 251
    geschafft, indem sie ihr ins Bett pißten. Jeanette hatte es erst gemerkt, als sie schon in der Lache lag. Kenneth hatte schlimmere Angst denn je und war davon überzeugt, daß im Keller ein Seeräuber hauste.
    »Ich will, daß jetzt Ruhe herrscht!«
    Sie heulte.
    Ein Wutausbruch kam bei Maren Kalsvik so selten vor, daß alle ihr gehorchten. Und zwar sofort. Nach einigen Minuten fingen sie aufs neue an.
    Es war drei Uhr, und erst vor einer Stunde waren die ersten Kinder aus der Schule gekommen. Ihre Kopfschmerzen hatten zwei Minuten nach Kenneths Eintreffen eingesetzt. Und seither waren sie immer schlimmer geworden.
    Sie floh ins Fernsehzimmer und schloß die Tür. Sollte Christian doch sehen, wie er mit den Kindern fertig wurde. Er kam ziemlich gut mit ihnen zurecht, auch wenn er ihnen manchmal zu große Freiheiten ließ.
    Luft. Sie brauchte Luft. Sie ging ans Fenster und riß es auf. Es tat gut, sie holte tief Luft. Ihre Nasenflügel
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