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Das einzige Kind

Das einzige Kind

Titel: Das einzige Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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und schwenkte sie so heftig durch die Luft, daß die Kaffeetassen umkippten und der Papierkorb an 42
    die Wand flog. Schließlich setzte er sie wieder ab, pflanzte ihr einen dicken Schmatz auf den Mund und ließ sich in einen Sessel fallen, der vier Nummern zu klein für ihn wirkte.
    Sie kannten sich schon seit der Polizeischule. Anders als die allermeisten Männer aus ihrem Jahrgang hatte er nie versucht, sie anzubaggern. Im Gegenteil, mehrere Male hatte er ihr wie ein Prinz auf seinem Schimmel aus peinlichen Situationen helfen können, und eine Zeitlang waren Gerüchte über sie und ihn im Umlauf gewesen. Als er sich dann ein Kind nach dem anderen zulegte und keins davon mit Hanne, waren neue und ganz andere Gerüchte über sie aufgekommen. Vor denen hatte er sie nicht retten können. Aber er hatte sie nie auch nur für eine Sekunde fallenlassen. Im Gegenteil, in einer schönen Frühlingsnacht vor einem Dreivierteljahr, in dem legendären Hitzefrühling, als sie in einem Sturzbach von Verbrechen zu ertrinken drohten, hatte er sie auf eine Weise mit sich selbst konfrontiert, die sie zu der geheimen Überlegung gebracht hatte, daß sie an ihrem Leben etwas ändern müsse. Aber diese Überlegung blieb sehr geheim.
    »Das war vielleicht toll«, sagte er und kam damit ihrer Frage zuvor. »Ich fand es toll, die Jungs fanden es spitze, und zu allem Überfluß hab ich auch noch eine verdammt scharfe Frau kennengelernt.«
    Vierzehn Tage auf den Kanarischen Inseln. Die hätte Hanne auch brauchen können.
    »Und jetzt bist du ausgeruht vind dienstbereit. Bei mir. Für mich.«
    Ihre Stimme klang seidenweich, und sie beugte sich über ihren Schreibtisch zu ihm vor.
    »Daß ich das noch erleben darf! Chefin von Billy T. zu werden! Dem Schrecken aller Vorgesetzten! Ich freue mich schon.«
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    Er reckte zufrieden seinen über zwei Meter langen Körper und verschränkte die Hände im Nacken.
    »Wenn ich mich je irgendwem unterordnen kann, dann nur einer supertollen Frau. Und wenn ich mich je einer supertollen Frau unterordne, dann nur dir. Das schaffen wir schon.«
    Billy T. arbeitete wieder in der Ermittlung. Nach vielen Jahren als Jeanspolizist in der sogenannten »Unruhetruppe« hatte er sich von Hanne Wilhelmsen überreden lassen. Sie hatte sogar seinen Antrag auf Versetzung geschrieben. Es hatte sie viele Flaschen Rotwein und ein Festmahl gekostet, bis er eines Samstags nachts um zwei Uhr unterschrieben hatte. Am nächsten Morgen um neun hatte er verzweifelt angerufen und den Antrag in Fetzen reißen wollen. Sie hatte gelacht. Das kam nicht in Frage. Nun saß er hier. Und freute sich im Grunde wohl auch.
    »Und das hier wirst du als erstes erledigen.«
    Sie reichte ihm drei grüne, nicht allzu umfangreiche Umschläge. Eine Messerstecherei vom vergangenen Samstag, ein plötzlich gestorbenes Kind, das aber wohl dem Krippentod zum Opfer gefallen war, und einen anderen Todesfall von der Schattenseite der Lebensführung, der sich mit ziemlicher Sicherheit als Alkoholvergiftung entpuppen würde.
    »Das machst du mit links«, sagte sie. »Aber hierbei wird’s ernst. Ein Mord. Altmodischer Messermord, der pure Groschenroman. In einem Kinderheim! Letzte Nacht. Sprich mit der Technik. Viel Glück. Ich würde gern eine ganze Kompanie auf diesen Fall ansetzen, aber wir hatten letzte Woche ja schon den Doppelmord in Smestad. Wir kriegen höchstens vier Leute.
    Und auf jeden Fall wirst du die Ermittlungen leiten.«
    »Verdammt, ist das alles schon entschieden?«
    »Ja.« Sie lächelte einschmeichelnd. »Bis auf weiteres arbeitest du mit Erik und Tone-Marit zusammen.«
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    Billy T. erhob sich und raffte mit demonstrativem Seufzen seine Sachen zusammen.
    »Ich hätte da unten bleiben sollen«, stöhnte er.
    »Ich bin froh, daß du das nicht gemacht hast.« Hanne Wilhelmsen lächelte zuckersüß und fügte hinzu: »Solche T-Shirts kommen hier nicht gut an. Zieh dich sofort um. Auf jeden Fall, ehe du ins Kinderheim fährst.«
    »Den Teufel werd ich tun«, murmelte er und beschloß, dieses Hemd noch den ganzen Rest der Woche zu tragen. Dann stampfte er mit klirrenden Sporen davon.

    Billy T. hatte dann doch das Hemd gewechselt. Bei genauerem Nachdenken war dessen Botschaft für ein Kinderheim wirklich nicht geeignet. Jetzt trug er ein normales weißes Hemd mit Knopfleiste unter seinem abgenutzten, voluminösen
    Lammfellmantel. Er stieß mit dem Kopf gegen den Türrahmen, als er sich aus dem kleinen zivilen Dienstwagen zwängte, und versuchte

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