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Das Echo der Traeume

Das Echo der Traeume

Titel: Das Echo der Traeume
Autoren: Maria Duenas
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Franzosen opponiert und den Nationalisten Unterschlupf geboten. Wie naiv. Als sie die Franzosen los waren, forderten die Marokkaner auf der Stelle auch die Souveränität über die spanische Zone. Am 7. April 1956 fand das Protektorat Spanisch-Marokko angesichts der wachsenden Spannungen ein plötzliches Ende. Und während die Souveränität auf die Marokkaner überging und sie ihr Land gewissermaßen zurückeroberten, begann für Zehntausende Spanier das Drama der Repatriierung. Ganze Familien von Beamten und Militärs, von Selbständigen, Angestellten und Geschäftsinhabern lösten ihre Haushalte auf und machten sich auf den Weg nach Spanien, das viele von ihnen kaum kannten. Zurück ließen sie ihre Straßen, ihre Gerüche, ihre Erinnerungen und die Gräber ihrer Toten. Sie überquerten die Meerenge mit ihren verpackten Möbeln und zerrissenen Herzen, und gequält von der Ungewissheit, was sie in jenem neuen Leben erwarten würde, verteilten sie sich über die spanische Halbinsel. Ihre Sehnsucht nach Nordafrika sollte nie vergehen.
    Das war ein kurzer Überblick, wie es mit den Personen und Orten weiterging, die in dieser Geschichte aus einer turbulenten Zeit eine Rolle spielten. Ihr Handeln, ihre Erfolge und Niederlagen sind objektive Tatsachen, die seinerzeit Stoff für die Zeitungen, Kaffeehausrunden und andere Zirkel lieferten. Heute sind sie in den Bibliotheken nachzulesen und in den Erinnerungen der ältesten Mitbürger zu finden. Ein wenig unklarer war die Zukunft all jener von uns, die wir ihnen angeblich in diesen Jahren nahestanden.
    Die Geschichte meiner Eltern könnte auf verschiedene Weise weitergehen. So wäre es beispielsweise denkbar, dass Gonzalo Alvarado nach Tetuán reist, um Dolores zu suchen und ihr vorzuschlagen, mit ihm nach Madrid zurückzukehren, wo sie die verlorene Zeit nachholen würden, ohne sich noch einen Tag zu trennen. Oder ganz anders: Mein Vater bleibt sein Leben lang in der Hauptstadt, während meine Mutter in Tetuán einen liebenswerten, verwitweten Militär kennenlernt, der sich wie ein Schüler in sie verliebt, ihr innige Briefe schreibt, sie ins La Campana zu Blätterteigteilchen und zu Spaziergängen im Park bei Sonnenuntergang einlädt. Mit einiger Geduld gelingt es ihm, sie davon zu überzeugen, ihn zu heiraten, und eines Morgens im Juni würden sie sich in einer kleinen, bescheidenen Zeremonie vor allen ihren Kindern das Jawort geben.
    Auch im Leben meiner alten Freunde in Tetuán könnte sich so manches tun. Candelaria könnte sich in der großen Wohnung in der Calle Sidi Mandri häuslich eingerichtet haben, als meine Mutter das Atelier schloss. Vielleicht eröffnete sie dort die beste Pension im ganzen Protektorat. Die Pension hätte so hervorragend laufen können, dass sie schließlich noch die Nachbarwohnung dazunahm, die Félix Aranda hinterließ, nachdem ihm in einer stürmischen Nacht die Nerven durchgingen und er seine Mutter letztendlich doch noch um die Ecke brachte, mit drei Schachteln Optalidon, aufgelöst in einer halben Flasche ihres liebsten Anislikörs. Und dann endlich frei gewesen wäre. Vielleicht hätte er sich in Casablanca niedergelassen, einen Antiquitätenladen eröffnet, tausend Liebespartner verschiedenster Hautfarbe gehabt, sich weiterhin mit dem Beobachten anderer Menschen vergnügt und überall herumgeschnüffelt.
    Was Marcus und mich betrifft, so könnten sich unsere Wege nach Kriegsende getrennt haben. Denkbar wäre, dass wir noch vier Jahre lang eine aufregende Liebesaffäre gehabt hätten und er danach in sein Land zurückgekehrt wäre, ich hingegen bis an mein Lebensende in Madrid geblieben wäre, als hochmütige Modeschneiderin mit einem sagenumwobenen Atelier mit ausgesuchter Kundschaft, die ich nach Lust und Laune auswählte. Oder ich hätte es eines Tages sattgehabt, immer nur zu arbeiten, und den Heiratsantrag eines Chirurgen angenommen, der mich davon befreit und mich für den Rest meines Lebens in Watte gepackt hätte. Es könnte aber auch sein, dass Marcus und ich beschlossen hätten, unseren Lebensweg gemeinsam zu gehen, und uns für die Rückkehr nach Marokko entschieden, uns in Tanger ein schönes Haus auf dem Monte Viejo gesucht hätten, eine Familie gegründet und ein richtiges Geschäft eröffnet hätten, von dem wir leben konnten, bis wir nach der Unabhängigkeit Marokkos nach London gegangen wären. Oder an irgendeinen Ort an der Mittelmeerküste. Oder in den Süden Portugals. Oder wir wären, wenn es Ihnen lieber ist,
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