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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer
Autoren: Ralf Isau
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schwarzen Raubkatze heran, deren gebogene Hauer wie bei einem Säbelzahntiger weit aus dem Maul ragten.
    Für Jonas schien sich die Zeit in zähflüssigen Sirup zu verwandeln. Obwohl eigentlich alles rasend schnell ablief, kamen ihm sämtliche Bewegungen doch seltsam verlangsamt vor. Fassungslos sah er den kahlköpfigen Mann auf seinem geschmeidigen Tier heranschweben, die beiden wirkten wie ein einziges todbringendes Wesen. Der Anblick erschien Jonas so unwirklich, jede Flucht kam ihm mit einem Mal so sinnlos vor…
    »Mack, lass sie nicht gehen«, rief der Malkit-Herrscher dem Gorrmack zu.
    Die Worte klangen seltsam dumpf in Jonas’ Ohren. Er spürte, wie eine eisige Kälte in seine Glieder kroch. Nur mit Mühe konnte er sich dem glitzernden Kristallwesen zuwenden und sagen: »Hör nicht auf ihn, Macky. Es ist Kanthelm.«
    »Ich mag ihn nicht«, ließ der Gorrmack seinen Freund wissen.
    Bergalf stand schon im Maul des glitzernden Drachenwesens. Mit der Hand hielt er sich oben an einem riesigen Zahn fest und beugte sich weit vor, um die Verfolger zu beobachten. »Nun komm doch endlich!«, rief er Jonas zu, der noch immer neben Mackys Kopf stand und wie gelähmt auf den Malkit starrte.
    »Mack«, schrie Kanthelm, während seine Katze mit weiten Sätzen heranflog. »Denk daran, was ich für dich getan habe. Hör auf mich. Lass die beiden nicht entkommen.«
    Jonas sah verunsichert zu Macky auf. »Was… was hat er für dich getan?«
    »Er hat mich wach gemacht«, antwortete der Gorrmack zögernd.
    Bergalf sprang wieder aus dem Rachen der Kristallechse in die Höhle zurück. Er eilte zu Jonas und zog ihn am Arm. »Was ist denn mit dir los, Jonas? Nun komm endlich. Mack wird sich jeden Moment in Luft auflösen.«
    Der Junge blickte in Bergalfs Gesicht, als sähe er es zum ersten Mal. Doch dann erkannte er den flehenden Ausdruck im Antlitz des Freundes. Langsam fiel die Starre von ihm ab und er ließ sich wie ein Betrunkener zum Maul führen. Der Rabe flatterte aufgeregt um die beiden herum.
    Kanthelm war nur noch wenige Sätze von ihnen entfernt. Der Malkit zog ein silbernes Rohr aus einem Sattelhalfter und zielte auf die beiden Fliehenden. Ein hässlich zischender Lichtstrahl schoss aus der Waffe.
    Doch Bergalf hatte den Angriff vorausgeahnt. Mit seinem Bilm erschuf er eine Spiegelung. Der gleißende Lichtspeer wurde zurückgeworfen und traf Kanthelms Katze mitten in die Brust. Das schwarz glänzende Tier schrie laut auf und überschlug sich. Der Malkit wirbelte herum und schlug hart auf dem Felsboden auf.
    »Kanthelm ist böse«, kommentierte der Gorrmack den Angriff. Die offene Aggressivität des Malkits hatte bei dem zart besaiteten Kristallriesen genau das Gegenteil von dem bewirkt, was Kanthelm bezwecken wollte. Mackys Zaudern hatte nun ein Ende. Der Zorn des Gorrmacks flammte auf wie eine tödliche Feuersbrunst.
    Mackys Schwanz wischte über den Höhlenboden. Zwei Dutzend Malkits wurden wie trockene Binsen weggefegt. Körper flogen durch die Luft. Als die Soldaten und ihre Tiere gegen die Felswände krachten, drehte sich Jonas der Magen um.
    Dann kehrte noch einmal trügerische Ruhe ein. Jonas sah entsetzt zu Macky auf. Was hatte Kanthelm nur angerichtet, dass aus diesem friedlichen Geschöpf eine solche Furie geworden war? Der riesige Kopf der Kristallechse wirkte eigenartig verschwommen, wie ein Bild aus Wasserfarben, über das jemand einen nassen Lappen gewischt hatte. Mackys Zorn war noch nicht verraucht, das spürte Jonas. Da hörte er ein Ächzen.
    Kanthelm richtete sich schwerfällig auf. Der Schwanz des Gorrmacks hatte ihn nicht mehr erreicht. Kanthelm stöhnte. Über sein zernarbtes Gesicht zog sich ein Rinnsal aus Blut. Er taumelte. Aber er stand. Jonas konnte es nicht fassen. Gab es denn gar nichts, was diesen Malkit beeindrucken konnte? Wieder spürte er die lähmende Kälte. War das Kanthelms Gabe, mit der er sich jeden Willen unterwarf?
    Aus Mackys Kehle stieg in diesem Augenblick ein markerschütterndes Brüllen auf. Nein, der Gorrmack wollte sich seinen Zorn nicht nehmen lassen, nicht, bevor er sein Werk vollendet hatte. Mit unbeschreiblicher Gewalt warf die Kristallechse ihren Kopf in die Höhe, dann sogar den ganzen vorderen Teil des Körpers.
    Jonas hörte ein Krachen. Macky musste die Decke oder einen Felsvorsprung getroffen haben. Eine wahre Gerölllawine ergoss sich aus der Höhe. Bestürzt sah er, wie die graue Gesteinsmasse auf ihn, Bergalf und den Raben zuraste. Sein Herz blieb stehen.
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