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Das dritte Ohr

Das dritte Ohr

Titel: Das dritte Ohr
Autoren: Curt Siodmak
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massierte meine Knöchel mit dem Eau de Cologne – das die Fluggesellschaft kostenlos verteilte – um den Blutkreislauf anzuregen und verließ erfrischt die kleine Kabine.
    Jetzt, gegen Ende des 7000-Meilen-Fluges – bei dem die kurzen Nachtstunden sehr bald dem Tag gewichen waren, da wir ja nach Osten flogen – ließ die pedantische Ordnung im Flugzeug nach. Im Gang lagen Trinkbecher aus Plastik, Illustrierte und Zeitungen verstreut. Kleine Grüppchen hatten sich gebildet. Viele Passagiere, die noch nie in Europa gewesen waren, gaben sich feierlich-erwartungsvoll. Die blauuniformierten Stewardessen ließen in ihrer professionellen Disziplin nach. Sie saßen müde in den Nischen neben der Bordküche, rauchten, nippten Kaffee, plauderten mit männlichen Passagieren. Eines der Mädchen, das durch den Vorhang zwischen Gang und Küche von der Gruppe getrennt war, schrieb im Stehen einen Brief. Da ich größer war als sie, schaute ich ihr unwillkürlich über die Schulter: „Lieber Harry!“ Durch meine Gegenwart irritiert, sah sie auf.
    „Könnte ich vielleicht einen Schluck Wasser haben?“ fragte ich.
    „Aber selbstverständlich, Dr. Bolt“, antwortete sie mit der unpersönlichen Standardhöflichkeit einer Stewardess.
    „Sie kennen mich?“ fragte ich mit jäher Besorgnis. Wie Rumpelstilzchen war ich erschrocken, als ich feststellte, daß man irgendwie meinen Namen herausbekommen hatte.
    Sie reichte mir einen Pappbecher.
    „Ich sehe immer die Passagierliste nach berühmten Namen durch, und da entdeckte ich Ihren. Ich hätte mich gern mit Ihnen unterhalten, wagte es aber nicht.“
    „Sehe ich denn so furchterregend aus?“ fragte ich, von ihrer unschuldigen Schmeichelei entwaffnet.
    „Sie haben mit niemandem im Flugzeug gesprochen, so daß ich annahm, daß Sie nicht gestört werden wollten.“
    „Ich hatte nichts zu sagen“, sagte ich mit zurückkehrender Zuversicht. „Ich spreche oft tagelang kein Wort.“
    Sie runzelte die Stirn.
    „Versuchen Sie einmal, einen Tag nicht zu reden“, schlug ich vor. „Dann werden Sie sehen, von wieviel Geschwätz die Luft erfüllt ist. Es ist so, als hörten Sie sechzehn Sender gleichzeitig auf derselben Wellenlänge.“
    „Wie jetzt?“ Sie lächelte und spitzte die Ohren nach dem Geplapper der Passagiere. Ihre flinke Reaktion und der aufmerksame Blick verrieten ihre Stewardessenausbildung, durch die sie gelernt hatte, möglichst auf die Launen der Passagiere einzugehen. Sie wechselte sofort das Thema.
    „Ich habe gerade einen Artikel gelesen, den Sie für die Zeitschrift Science geschrieben haben“, sagte sie.
    „Lesen Sie denn wissenschaftliche Veröffentlichungen?“ fragte ich, erneut beunruhigt.
    „Sie haben die Zeitschrift auf Ihrem Sitz liegenlassen, und da habe ich einen Blick hineingeworfen. Sie schrieben über Psychoanalyse und Psycho … Psycho …“
    „Psychopharmakologie“, half ich ihr.
    „Ja, das war es. Viel ist freilich nicht hängengeblieben, aber ich war eben neugierig, weil ich wußte, daß Sie an Bord sind“, sagte sie. „Mein Freund studiert als Hauptfach Psychologie, und manchmal sagt er mir Dinge …“
    „Dinge?“
    „Na ja. Er sagte mir, ich solle mich nie an anderer Leute Sinn für Logik wenden. Das mache sie nur gereizt und schuldbewußt. Ich solle stattdessen an ihre Gefühle appellieren. Da hat er recht, nicht wahr?“
    „Er scheint sehr gescheit zu sein.“ Ich hätte sie ihren Brief weiterschreiben lassen sollen.
    „Unser Handbuch gibt uns ähnliche Anweisungen. Es sagt uns, wie wir uns mit Passagieren unterhalten, wie wir nervöse Leute behandeln und wie wir uns in Notfällen verhalten sollen.“
    „Haben Sie schon viele mitgemacht?“
    „Noch keinen einzigen. Aber ich hoffe, nicht in Panik zu geraten, wenn einer eintritt.“
    „Halte deinen Adrenalinspiegel unter Kontrolle, werde nicht hysterisch.“
    „Hysterie ist schlechte Erziehung.“
    „Steht das in Ihrem Handbuch?“
    „Ja. Es käme nichts dabei heraus, wenn wir uns bei der Arbeit aufregen würden. Natürlich haben wir unsere schwachen Augenblicke, aber ich habe eine perfekte Methode der Selbstbeherrschung entwickelt, eine die nicht im Buch steht.“
    „Und welche?“ fragte ich, neugierig auf die Findigkeit eines dreiundzwanzigjährigen Mädchens.
    „Das kann ich Ihnen nicht erzählen.“
    „Dann hätten Sie gar nicht erst davon anfangen sollen.“
    „Es ist ein Spiel.“
    „Alles, was wir im Leben tun, ist Spiele spielen. Was wir gerade tun, ist auch
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