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Das dritte Ohr

Das dritte Ohr

Titel: Das dritte Ohr
Autoren: Curt Siodmak
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Gesellschaftsstruktur gefunden. Sein Verstand befähigte ihn immer, mit ‚Wundern’ fertig zu werden. Das dritte Ohr, wie Sie den ESP-Faktor nennen, wird sich auch in unsere Zivilisation einfügen lassen. Warum sollte künstlich hervorgerufene übersinnliche Wahrnehmung sich nicht als Segen für die Menschheit erweisen? Stellen Sie sich das nur vor – wenn die Menschen nicht mehr ihre Gedanken verbergen können, müssen sie ihre Masken fallenlassen. Sollte es mir glücken, die biochemische Zusammensetzung des dritten Ohres zu entdecken“ – ich benutzte nochmals seinen Ausdruck, um ihm zu schmeicheln und seinen Widerwillen, mich zu unterstützen, zu überwinden –, „so wird unsere Epoche als zweite Renaissance, als Zeitalter absoluter Ehrlichkeit in die Geschichte eingehen. Eine chemische Verbindung, die dort Erfolg hat, wo Religionen und Philosophien bisher versagten! Warum helfen Sie mir nicht bei meinen Forschungen? Sie sind das perfekte Medium; ich wüßte nicht, wo ich ein besseres finden könnte. Sie können, wie ich beobachtet habe, Ihre Konzentration nach Belieben an- und abschalten. Das kann kein Abendländer. Man muß in Ihrer Philosophie und Disziplin geschult sein. Machen Sie mit, Kalyanamitra, ich werde Sie gut bezahlen.“
    „Der Mensch kann nicht in einer Welt leben, die ohne Geheimnisse, ohne jedes Mysterium ist“, sagte Kalyanamitra. Er verabschiedete sich hastig, als beunruhige ihn schon allein meine Gegenwart.
    Ich versuchte, ihn nochmals zu erreichen, aber er war aus seinem Vorstadthotel ausgezogen, ohne eine Adresse zu hinterlassen. Ich machte schließlich seinen Impresario ausfindig, der mir sagte, Kalyanamitra habe das Land verlassen und sei nach Indien zurückgekehrt. Der Mann schien sehr bekümmert darüber zu sein, einen Kunden ohne ersichtlichen Grund verloren zu haben.
    Ich glaubte, daß Kalyanamitra aus Angst, ich würde ihn brotlos machen, in Panik geraten sei. Er hatte sich sein Leben lang darin geübt, nach Belieben ESP hervorzurufen. Wenn ein chemischer Stoff das gleiche vermochte, so wäre seine Fähigkeit nicht mehr interessant. Seine Flucht brachte mich zu der Überzeugung, daß ich mich auf dem richtigen Weg befand.
     
    Da meine Füße vom langen Sitzen geschwollen waren, stand ich auf und schlenderte im Flugzeug umher, um meinen Kreislauf anzuregen. Zehntausend Meter unter uns lag Holland, in winzige Felder aufgeteilt. In Amerika überfliegt man im wesentlichen immer noch unberührte Natur, nur hier und da mit Häusern gesprenkelt und von gewundenen Straßen durchzogen, die sich in geheimnisvolle Ebenen schlängeln. In Europa ist jeder Quadratmeter Boden nutzbar gemacht worden.
    Als ich in die Toilette trat und mich im Spiegel betrachtete, spürte ich, daß meine Übermüdung nachließ. Mein Gesicht sah durch Überarbeitung und Schlafmangel immer noch abgespannt aus; meine Augen, ein grünes und ein grünlichblaues, so als wäre der Natur eine der beiden Farben ausgegangen, hatten tiefe Ränder. Die Haut, die sich über scharf herausgemeißelten Knochen straffte, verlieh meinem Schädel ein hageres Aussehen, so als wäre kein Fleisch unnötig verschwendet worden. Eine dünne lange Nase verriet meine englische Abstammung, die bis zu den Römern zurückreichte; meine Familie war vor zweihundert Jahren nach Amerika eingewandert und hatte nie einen gewissen aristokratischen Sinn für Selbstdisziplin verloren, die jede Gefühlsregung verbarg. Ich hatte meine Gefühle immer für mich behalten – eine Unzulänglichkeit, die mich jeder wirklich engen Beziehung zu einem Mann oder einer Frau beraubte. Ich glaubte, daß die Ungebundenheit, die ich absichtlich förderte, dazu beigetragen hatte, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Das Alleinsein war zur Besessenheit geworden. Oder handelte es sich um einen tief verwurzelten Puritanismus, der in meiner Familie immer gepredigt worden war? Dem Menschen steht nur eine begrenzte Energiemenge zur Verfügung; ich widmete sie ausschließlich meiner Arbeit. Meine Kleidung stammte von einem teuren Schneider, die einzige Extravaganz, die ich mir erlaubte; ich hatte gerade die Mitte zwischen vierzig und fünfzig überschritten und war in guter Form; jedes Gramm Übergewicht betrachtete ich als eine Behinderung der Körperfunktionen. Seit ich meinen Verstand zum exakten Denken geschult hatte – ohne irgendwelche unnützen Gedanken –, achtete ich auch streng darauf, daß ich körperlich fit blieb.
    Ich wusch mir Gesicht und Hände und
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