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Das dritte Ohr

Das dritte Ohr

Titel: Das dritte Ohr
Autoren: Curt Siodmak
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ein Spiel.“
    „Ein ziemlich kindisches“, sagte sie und zog dabei ein Schmollmündchen.
    „Spielen Sie nicht gern Spiele?“
    Sie lachte. „Eigentlich doch, aber wenn ich es Ihnen erzähle, müssen Sie mir versprechen, daß Sie mich nicht verraten. Ich könnte sonst entlassen werden.“
    „Das möchte ich unter keinen Umständen.“
    „Also, na schön. Im Grund ist es albern. Alles, was ich tue, besteht darin, die Person, die mich ärgert, in meiner Vorstellung unwichtig zu machen.“
    Sie verstummte wieder.
    „Reden Sie weiter.“
    „Ich sagte mir: ‚Affe! Er ist ein blöder Affe!’ Das wiederhole ich im Geist immer wieder und sehe durch ihn hindurch, als wäre er Luft für mich.“
    „Jetzt verstehe ich Ihr ausdruckloses Gesicht, als ich Sie beim Schreiben unterbrach.“
    Sie lachte erneut und machte keinerlei Versuch, meine Beobachtung abzustreiten.
    „Es funktioniert. Es ist unfair, aber es klappt. Es gibt mir sogar ein Gefühl der Überlegenheit.“
    „Eine ausgezeichnete Psychologie! Darf ich sie auch benutzen?“
    „Das haben Sie nicht nötig. Sie halten Leute auf Abstand, da Sie von ihnen nicht abhängig sind“, sagte sie und legte ein Wissen zu Tage, das sie im Umgang mit Tausenden von anonymen Gesichtern erworben hatte.
    Eine Lampe auf der Schalttafel über unseren Köpfen blinkte unaufhörlich.
    „Entschuldigen Sie mich bitte, Dr. Bolt“, sagte sie und ließ den Vorhang der Unpersönlichkeit herunter. „Die Landungsscheine müssen verteilt werden.“
    Sie öffnete eine Schublade und nahm einen Stapel Formulare heraus.
    „Hier haben Sie einen“, sagte sie. Sich den Weg nach vorne bahnend und die Passagiere ermahnend, den Gang zu räumen, verteilte sie die Formulare. Als die Leute widerstrebend gehorchten, erblickte ich den Mann.
    Es passierte in dem Augenblick, als ich meinen Platz erreicht hatte und mich gerade hinsetzte, und es ging so schnell, daß nur ein paar Passagiere es bemerkten. Drei Reihen vor mir, neben der Tür zum Cockpit, bückte sich die Stewardess, um etwas zu dem Mann mit dem dunkelhäutigen, pockennarbigen Gesicht zu sagen. Seine Hand schnellte plötzlich hoch, umklammerte ihr Handgelenk und drehte es um. Als er aufstand, hielt er ihr eine Pistole gegen den Kopf und stieß sie zu der Tür, die den Passagierraum vom Cockpit trennte. Das Mädchen schrie nicht, und das Geplapper im Flugzeug hielt an.
    Da sprang ein breitschultriger, kahlköpfiger Mann in Hemdsärmeln, der wie ein Handelsreisender aussah, von seinem Sitz bei der Tür auf und versetzte der Pistole einen wuchtigen Hieb mit der flachen Hand. Die schwere Waffe prallte von der Decke ab und traf mich an der Stirn, so daß mir schwarz vor den Augen wurde, noch ehe ich den Schlag verspürte.
    Als ich wieder klar sehen konnte, lagen beide Männer am Boden, und die Stewardess war auf den Sitz des Kahlköpfigen gesunken. Jetzt begann eine Frau zu schreien, und die Leute vor mir sprangen bestürzt auf. Die Tür des Cockpits wurde aufgerissen, und der Funker erschien erschrocken und verwirrt.
    Nur ein paar Sekunden vergingen zwischen dem Angriff des Mannes auf das Mädchen und dem Handgemenge der beiden Männer am Boden. Plötzlich wurden die Glieder des Mannes mit dem pockennarbigen Gesicht weich wie Gummi, sein Kopf baumelte zur Seite, und seine Zähne gruben sich vor Schmerz in seine Unterlippe. Der Mann in den Hemdsärmeln richtete sich auf, zerrte den benommenen Angreifer unbarmherzig auf die Beine und stieß ihn auf einen Sitz.
    „Alles in Ordnung“, sagte er gelassen und wandte sich dem immer noch verdatterten Funker zu. „Das wäre erledigt.“ Seine Stimme war ruhig und gefühllos. „Sagen Sie den Passagieren durch das Bordmikrofon, daß sie sich entspannen sollen. Na los, setzen Sie sich schon in Bewegung.“
    Der Funker verschwand im Cockpit, und bald danach erklang seine Stimme aus den Lautsprechern.
    „Bitte schnallen Sie sich wieder an. Bitte bleiben Sie auf Ihren Plätzen. Es ist alles in Ordnung. Bitte schnallen Sie sich an.“ Um seine Anweisung zu unterstreichen, leuchtete „Fasten seat belts“ über jedem Sitz auf.
    Angetrieben von ihrer Berufsausbildung rappelte sich die Stewardess auf die Beine. Mit einem erstarrten Lächeln auf ihrem blassen Gesicht warf sie einen Blick auf ihren unschädlich gemachten Angreifer.
    „Bitte schnallen Sie sich an“, wiederholte sie mechanisch und prüfte die Gurte, während sie durch den Gang schritt. Ihr sorgfältiges Make-up stimmte nicht mehr mit ihrer
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