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Das Dorf in den Lüften

Das Dorf in den Lüften

Titel: Das Dorf in den Lüften
Autoren: Jules Verne
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folgt.
     

    Jetzt fand nach den Tanzaufführungen also ein regelrechtes Concert statt. (S. 212)
     
    Die Tänze wurden auch nicht von Rufen oder Gesängen der Zuschauer begleitet, sondern nur von höchst urwüchsigen Instrumenten, wie von Calebassen, die mit einer Haut straff bezogen waren, und von einer Art zu Pfeifen zugeschnittenen hohlen Stengeln, die ein Dutzend kräftiger Musikanten anbliesen, als wollten sie sich mit aller Gewalt die Lungen zersprengen. Wohl noch niemals mochte solch ein betäubender Lärm die Ohren von Weißen zerrissen haben.
    »Sie scheinen keine Idee von einem musikalischen Tacte zu haben, bemerkte John Cort.
    – Nicht mehr als von einer Tonhöhe und Harmonie, antwortete Max Huber.
    – Trotzdem sind sie offenbar empfänglich für Musik, lieber Max…
    – Das sind die Thiere auch, lieber John, wenigstens manche davon. Meiner Ansicht nach ist die Musik eine niedere Kunst, die sich nur an die niederen Sinne richtet. Handelt es sich dagegen um Malerei, Bildhauerei oder Literatur, so giebt es kein Thier, das deren Reiz empfände, und selbst von den intelligentesten wird man noch nicht beobachtet haben, daß sie beim Erblicken eines Gemäldes oder beim Anhören eines Gedichtes ihrer Befriedigung Ausdruck gegeben hätten.«
    Wie dem auch sei, die Wagddis näherten sich mehr dem Menschen, nicht allein, weil sie einen Eindruck von der Musik empfanden, sondern auch, weil sie diese selbst ausübten.
    So gingen, unter großer Ungeduld Max Huber’s, zwei volle Stunden hin. Am meisten erregte ihn freilich, daß Seine Majestät Mselo-Tala-Tala noch immer nicht zu erscheinen geruhte, um die Huldigungen seiner Unterthanen entgegenzunehmen.
    Unter noch lauterem Getöse und wilderen Tänzen nahm die Festlichkeit ihren Fortgang. Die starken Getränke brachten bald Ausbrüche der Trunkenheit hervor, und schon drängte sich die Frage auf, wie dieses wüste Gelage enden möge, als plötzlich jeder Lärm verstummte.
    Alle kauerten sich stillschweigend nieder. Das tiefste Schweigen folgte den geräuschvollen Kundgebungen, dem betäubenden Dröhnen der Tamtams und dem scharfen Kreischen der Pfeifen.
    Da öffnete sich die Thüre der königlichen Wohnstätte und sofort bildeten davor die Krieger zu beiden Seiten Spalier.
    »Endlich, rief Max Huber aufathmend, endlich werden wir ihn sehen, den Beherrscher dieser Waldmenschen!«
    Aus der Thür trat seine Majestät aber noch nicht, vielmehr wurde ein dick mit Blättern bedeckter Kasten nach der Mitte des Platzes gebracht. Wie erstaunten aber die beiden Freunde, als sie darin eine… ganz gewöhnliche Drehorgel erkannten. Höchst wahrscheinlich wurde dieses geheiligte Instrument nur bei großen Feierlichkeiten in Ngala benutzt, und die Wagddis lauschten auf dessen verschiedene Weisen mit dem Entzücken kunstbegeisterter Dilettanten.
    »Das ist aber doch die Orgel des Doctor Johausen, sagte John Cort.
    – Es kann nur dasselbe antediluvianische Musikwerk sein, antwortete Max Huber. Jetzt kann ich mir auch erklären, warum ich in der Nacht, wo wir hier darunter eintrafen, über mir den unausweichlichen Walzer aus dem »Freischütz« unbestimmt zu hören glaubte.
    – Und davon hast Du nichts gesagt, Max?
    – Ich glaubte nur geträumt zu haben, John.
    – Und diesen Leierkasten werden sich die Wagddis jedenfalls aus der Käfighütte des Doctors angeeignet haben.
    – Und zwar, nachdem sie dem armen Manne übel mitgespielt hatten!« setzte Max Huber hinzu.
    Ein stolz aussehender Wagddi – offenbar der Concertmeister des Dorfes – trat an das Instrument und begann dessen Handgriff zu drehen.
    Sofort ertönte zum größten Vergnügen der Zuhörer der genannte Walzer, wenn von ihm auch einzelne Töne ausblieben.
    Jetzt fand nach den Tanzaufführungen also ein regelrechtes Concert statt. Die Anwesenden hörten ihm, mit dem Kopfe – freilich nicht taktmäßig – nickend, zu. Den Einfluß, der bei einer Walzermelodie alle civilisierten Menschenkinder der Alten und der Neuen Welt veranlaßt, die Füße in entsprechende Bewegung zu setzen, empfanden hier die Zuhörer nicht.
    Und wie erfüllt von der Wichtigkeit seines Amtes, leierte der Wagddi immer unverdrossen weiter.
    John Cort fragte sich, ob es in Ngala wohl bekannt wäre, daß die Drehorgel auch noch andere Melodien hervorbringen konnte. Der Zufall hatte ja vielleicht diese Urmenschen entdecken lassen können, durch welchen Handgriff – nämlich durch Druck auf einen Knopf – die Melodie von Weber durch eine andere
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