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Das Dorf in den Lüften

Das Dorf in den Lüften

Titel: Das Dorf in den Lüften
Autoren: Jules Verne
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der Ehrerbietung den Kopf. Und wenn ihr Weg sie vor die königliche Hütte führte, hielt Lo-Maï sie zurück, drängte sie weg und führte sie nach rechts oder links weiter. Er machte ihnen dabei auf seine Art begreiflich, daß niemand das Recht habe, die Schwelle dieser geheiligten Wohnstätte zu überschreiten.
    An diesem Nachmittage stellten sich nun, kurz vor drei Uhr, der Ngoro, die Ngora und deren kleiner Sohn bei Khamis und seinen Gefährten ein. Auf den ersten Blick sah man, daß die Familie in ihrer schönsten Kleidung erschien: der Vater mit einer mit Federn geschmückten Kopfbedeckung und in einem Ueberwurf aus Rindenstoff, die Mutter gehüllt in ein Aguliegewebe von wagddiischer Herkunft, mit einigen grünen Blättern im Haar und mit einer Kette aus Glasperlen und anderen kleinen Kugeln um den Hals, der Kleine endlich mit einem um die Taille gebundenen leichten Schurz – »in seinem Sonntagsstaate«, wie Max Huber sagte.
    Als er alle drei so sonntäglich geputzt vor sich stehen sah, rief er lustig:
    »Alle Wetter, was bedeutet denn das? Wollen die uns vielleicht gar eine Staatsvisite machen?
    – Offenbar ist heute ein Festtag, meinte John Cort. Vielleicht handelt es sich um eine Ehrenbezeigung für irgend welche Gottheit. Das wäre hochinteressant in Bezug auf die Erkennung ihrer religiösen Vorstellungen!«
    Noch bevor er diesen Satz vollendet hatte, sagte Lo-Maï, wie um zu antworten:
    »Mselo-Tala-Tala…
    – Der Vater mit der Brille!« übersetzte Max Huber.
    Sofort trat er aus der Hütte in dem Glauben, daß der König der Wagddis eben hier vorüberkommen müsse.
    Eine arge Täuschung… Max Huber sah auch nicht den Schatten von Seiner Majestät! Jedenfalls konnte er sich überzeugen, daß ganz Ngala in Bewegung war. Von allen Seiten strömte eine, ähnlich wie die Familie Mar geschmückte Menge zusammen. Ein richtiger Volksauflauf, dessen Theilnehmer sich in einem Zuge nach den zum westlichen Ende des Dorfes führenden Straßen wandten, wobei sich die einen wie lustige Bauern gegenseitig an den Händen hielten und die anderen wie Affen von einem Baum zum anderen umhersprangen.
    »Da giebt es etwas neues, erklärte John Cort, der auf der Schwelle der Hütte stehen blieb.
    – Das wird sich ja bald zeigen,« antwortete Max Huber.
    Damit wendete er sich wieder Lo-Maï zu.
    »Mselo-Tala-Tala? sagte er wiederholt in fragendem Tone.
    – Mselo-Tala-Tala!« erwiderte Lo-Maï, indem er die Arme über der Brust kreuzte und den Kopf langsam neigte.
    John Cort und Max Huber glaubten daraufhin annehmen zu dürfen, daß die wagddiische Bevölkerung sich anschickte, ihren Herrscher zu begrüßen, und daß dieser bald in all seinem Glanze erscheinen werde.
    Die beiden Freunde hatten nun freilich keine Festkleider zur Hand. Sie sahen sich auf ihr abgetragenes und ziemlich fleckiges Jagdkostüm beschränkt und auf ihre Leibwäsche, die sie übrigens immer so sauber wie möglich zu halten suchten. Sie brauchten also für seine Majestät keine besondere Toilette zu machen, und als die Familie Mar aus der Hütte heraustrat, folgten sie ihr mit Llanga nach.
    Khamis hatte keine Lust, sich der tief unter ihm stehenden Volksmenge anzuschließen, er »blieb also allein zu Hause«, wo er sich damit beschäftigte, alles aufzuräumen, die Zubereitung des Abendessens zu überwachen und die Gewehre zu putzen. Es erschien ihm rathsam, für jeden Fall vorbereitet zu sein, und vielleicht näherte sich schon die Stunde, wo es darauf ankam, von den Waffen Gebrauch zu machen.
    John Cort und Max Huber ließen sich also von Lo-Maï willig durch das belebte Dorf führen. Dieses hatte keine eigentlichen Straßen, sondern die nach der Laune eines jeden hier oder da errichteten Strohhütten gruppierten sich höchstens um die Bäume oder vielmehr um deren sie beschützende Kronen.
    Geschlossen wälzte sich die Menge dahin. Mindestens tausend Wagddis begaben sich nach dem Theile Ngalas, an dessen Ende sich die Königswohnung erhob.
    »Nichts kann doch einer Menschenmenge ähnlicher sein, als was wir hier vor uns sehen! bemerkte John Cort, ganz dieselben Bewegungen, dieselbe Weise, seine Befriedigung durch Gesten und Ausrufe kund zu geben…
    – Und daneben durch Grimassen, setzte Max Huber hinzu, und das verweist diese wunderlichen Wesen zu den Vierhändern!«
    In der That hatten sich die gewöhnlich ernsten, zurückhaltenden und wenig mittheilsamen Wagddis noch niemals so ausgelassen lustig gezeigt. Und dabei bewahrten sie doch die
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