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Das Dorf in den Lüften

Das Dorf in den Lüften

Titel: Das Dorf in den Lüften
Autoren: Jules Verne
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einstündigem Kampfe waren die Flußschweine verjagt und Ströme von Blut vermischten sich mit dem Wasser des kleinen Flusses.
    Max Huber hatte große Lust gehabt, an der Schlacht theilzunehmen. Seine Flinte und die John Cort’s zu holen, von oben her auf die Herde zu schießen, die Potamocheren mit einem Bleihagel zu überschütten, gewiß zum größten Erstaunen der Wagddis, das wäre ja leicht auszuführen gewesen. Der kluge John Cort beruhigte aber seinen aufbrausenden Freund, und der Foreloper unterstützte ihn dabei.
    »Nein, nein, sagte er, wir wollen uns für wichtigere Fälle ein Einschreiten vorbehalten. Wenn man über den Blitz verfügt, lieber Max…
    – Ja, Du hast recht, John, dann schleudere man ihn nur im geeigneten Augenblick; und da es zum Donnern noch nicht Zeit, wollen wir unseren Donner für später aufsparen!«
Sechzehntes Capitel.
Seine Majestät Mselo-Tala-Tala.
    An diesem Tage – das heißt richtiger am 15. April – kam es zu einer auffallenden Veränderung in dem sonst so ruhigen Verhalten der Wagddis. Im Laufe von drei Wochen hatte sich den Gefangenen von Ngala keine Möglichkeit geboten, ihren Weg durch den großen Wald von Ubanghi fortzusetzen. Scharf überwacht und in die unübersteigbaren Grenzen dieses Dorfes eingeschlossen, hatten sie nicht entfliehen können. Wohl war es ihnen, und vor allem John Cort, unverwehrt gewesen, die Sitten und Gebräuche dieser zwischen dem am höchsten entwickelten Anthroporden und dem Menschen stehenden Wesen zu studieren, zu beobachten, welche ihre Instincte sie dem Thierreich zuwiesen und welche Dosis von Verstand sie der Menschheit näher brächte. Das ergab einen wahren Schatz von Einzelbeobachtungen, die in einer Erörterung der Darwinschen Lehre recht ersprießlich verwerthet werden konnten. Doch um die gelehrte Well damit zu beglücken, war es nöthig, wieder nach dem französischen Congogebiete und nach Libreville zurückgekehrt zu sein.
    Das Wetter war herrlich. Blendender Sonnenschein lag warm auf den Wipfeln der Bäume, die das Dorf in den Lüften beschatteten. Nach Ueberschreitung des Zeniths in der Stunde ihrer Culmination verminderte sich Wärme und Glanz der Sonnenstrahlen, obwohl es schon über drei Uhr war, nicht im mindesten.
    John Cort und Max Huber hatten mit den beiden Maïs vielfach Verkehr gehabt. Kein Tag war vergangen, ohne daß die Familie einmal in die Hütte der Fremden kam oder daß diese sie in der ihrigen aufsuchten. Es war ein richtiger Austausch von Besuchen, höchstens fehlten dabei die Visitenkarten. Der Kleine wich kaum von Llanga’s Seite und hatte eine herzliche Zuneigung für den jungen Eingebornen gewonnen.
    Leider bestand immer die Unmöglichkeit, die Wagddisprache zu verstehen, obgleich diese nur eine kleine Zahl von Wörtern umfaßte, die jedenfalls für den Ausdruck der Gedanken dieser Urmenschen ausreichten. Hatte sich John Cort auch die Bedeutung einzelner Wörter gemerkt, so setzte ihn das doch noch nicht in den Stand, mit den Bewohnern von Ngala zu sprechen. Immer überraschte es ihn aber, daß im wagddiischen Wörterschatze verschiedene – vielleicht ein Dutzend – Ausdrücke der Eingebornen vorkamen. Das schien ja anzudeuten, daß die Wagddis mit anderen Völkerschaften Ubanghis, vielleicht gar mit einem Congolesen in Berührung gekommen wären, der nach dem Congobecken nicht wieder zurückgekehrt war. Eine derartige Vermuthung ließ sich gewiß nicht gänzlich abweisen. Obendrein hörte man von Lo-Maï aber gar deutsche Wörter, wenn auch mit so falscher Aussprache, daß man sie kaum wiedererkennen konnte.
    Das war ein Punkt, den John Cort für ganz unerklärlich hielt. Wenn man auch annehmen konnte, daß andere Eingeborne und die Wagddis einander schon begegnet wären, wie fern lag da doch noch der Gedanke, daß die zweiten auch mit Deutschen in Kamerun in Berührung gestanden hätten! In diesem Falle hätte dem Franzosen und dem Amerikaner eine Priorität für ihre Entdeckung nicht zugestanden. Obgleich John Cort recht geläufig deutsch sprach, konnte er davon doch keinen Gebrauch machen, da Lo-Maï nur zwei oder drei Wörter dieser Sprache verstand.
    Unter den den Eingebornen entlehnten Ausdrücken war Mselo-Tala-Tala, die Bezeichnung des Beherrschers dieser Sippe, der, den man am häufigsten hörte. Wir wissen, wie sehnlich es die beiden Freunde verlangte, von dieser unsichtbaren Majestät empfangen zu werden. Allemal freilich, wenn sie diesen Namen aussprachen, neigte Lo-Maï wie als Zeichen
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