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Das Dorf in den Lüften

Das Dorf in den Lüften

Titel: Das Dorf in den Lüften
Autoren: Jules Verne
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zu ersetzen wäre.
    Und siehe da, nachdem eine halbe Stunde lang der Freischützwalzer erklungen war, drückte der Vortragende auf eine Feder an der Seite des Gehäuses, ganz wie es der Leierkastenmann auf der Straße, der sein Instrument an Riemen befestigt trägt, gethan haben würde.
    »Sapperment… nein… das ist denn doch zu stark!« rief Max Huber.
    Ja wahrlich, zu stark, wenigstens wenn den Waldmenschen nicht irgend jemand den Mechanismus des Leierkastens erklärt und ihnen gezeigt hatte, wie man alle in seinem Inneren verborgenen Melodien auslösen könne.
    Schon setzte sich der Handgriff wieder in Bewegung.
    Der deutschen Melodie folgte eines der beliebtesten französischen Volkslieder, das ergreifende Lied von der »Gnade Gottes«.
    Dieses »Meisterwerk« der Loïsa Puget ist ja wohl allgemein bekannt. Jedermann weiß, daß die Melodie in den ersten sechs Takten in
A-moll
gesetzt ist, und daß, wie es in der Zeit seiner Entstehung allgemein beliebt war, der Refrain jedes Verses dann nach
A-dur
übergeht.
    »O, der Elende… der elende Pfuscher! stieß Max Huber so laut hervor, daß aus der Zuhörerschaft ein recht bedenkliches Murmeln hörbar wurde.
    – Welcher Elende? fragte John Cort. Der, der den Leierkasten bearbeitet?
    – Nein, der, der ihn angefertigt hat. Um an klingenden Stimmen zu sparen, hat er in seinem Kasten das
Cis
und
Gis
einfach weggelassen, und der in
A-dur
zu spielende Refrain:
     
    »Nun geh’, mein Kind, leb’ wohl,
    Dich leite Gottes Gnade«,
     
    der ertönt nun in
C-dur!
    – Ja, ja, das ist ein Kapitalverbrechen! erklärte John Cort lachend.
    – Und diese Barbaren, die davon gar nichts merken, die nicht entsetzt in die Höhe springen, wie jeder mit einem menschlichen Ohre Begabte aufspringen müßte!«
    Nein, diese Schändung ließ die Wagddis völlig gleichgiltig; ruhig nahmen sie die verbrecherische Unterschiebung einer falschen Tonart für die richtige hin!
    Wenn sie auch nicht in die Hände klatschten, obwohl genug, ihrem Aeußeren nach recht brauchbare Claqueure unter ihnen waren, so gaben sie ihrer Entzückung doch in der ihnen eigenen Weise Ausdruck.
    »Schon das allein, sagte Max Huber, berechtigt dazu, sie zu den Thieren zu zählen!«
    Dem Anscheine nach war der Leierkasten für keine anderen Stücke, als für den deutschen Walzer und für das französische Volkslied eingerichtet, denn die wechselten halbstündlich unverändert mit einander ab. Die Walzenstifte für andere Melodien waren jedenfalls gar zu lückenhaft. Zum Glücke gab das Instrument wenigstens alle Töne des deutschen Walzers an, so daß bei diesem Max Huber’s Widerwille sich nicht so fühlbar machte, wie bei der französischen Romanze.
    Nach Schluß des Concertes begannen die Tänze aufs neue, und reichlich floß berauschendes Getränk wieder durch die Gurgel der Wagddis. Die Sonne war hinter den Baumkronen an der Westseite versunken, und zwischen dem Gezweig tauchten bald brennende Fackeln auf, um den Festplatz zu erleuchten, der bei der kurzen Dämmerung sonst bald in tiefes Dunkel gehüllt gewesen wäre.
    Max Huber und John Cort hatten von dem Schauspiele genug und dachten schon daran, nach ihrer Hütte zurückzukehren, als Lo-Maï deutlich sagte:
    »Mselo-Tala-Tala!«
    Wirklich?… Wollte Seine Majestät jetzt die Ehrenbezeigungen seines Volkes annehmen?… Geruhte er endlich, seine göttliche Unsichtbarkeit aufzugeben?
    Jetzt hüteten sich John Cort und Max Huber natürlich, fortzugehen.
    Nach der Seite der königlichen Wohnung zu entstand eine neue Bewegung, die von einem dumpfen Murmeln der Menge begrüßt wurde. Die Thür sprang auf, und davor ordnete sich eine Leibwache von Kriegern, deren Führung der »Oberst« Raggi übernahm.
    Fast gleichzeitig wurde ein Thronsessel sichtbar – eigentlich ein altes, mit Stoffen und Blättern geschmücktes Sopha, worauf – von vier stämmigen Burschen getragen – Seine Majestät hingestreckt lag.
    Es war eine Persönlichkeit von etwa sechzig Jahren mit einem Kopfschmuck von glänzenden grünen Blättern, mit weißem Bart und Haar und von beträchtlichem Leibesumfang, dessen Gewicht auf den breiten Schultern seiner Diener recht fühlbar lasten mochte.
    Der kleine Zug setzte sich in Bewegung und verfolgte einen Weg rings um den Platz.
    Schweigsam, wie hypnotisiert durch die Erscheinung des erhabenen Mselo-Tala-Tala, verbeugte sich die Menge bis zum Boden.
    Der Souverän erschien übrigens ziemlich unberührt von den Huldigungen, die ihm dargebracht
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