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Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder
Autoren: Elisabeth Herrmann
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denen sie ihn hinter den Ohren kraulte. Es sollte ihn beruhigen. In Wirklichkeit beruhigte sie sich selbst.
    Das schreckliche Heulen ebbte ab, erstarb. Totenstille senkte sich über das Dorf. Es war vollbracht. Was auch immer es gewesen war.

Zwanzig Jahre später

1
    E s war ein warmer Tag im Mai.
    Als Vorbote des Sommers war er gekommen, mit dem Duft von Heckenrosen und einem Himmel wie zerlaufenes Vanilleeis. Aber nach zwei Stunden Streife entlang der Frankfurter Allee sehnte sich Polizeimeisterin Sanela Beara nur noch nach Wasser und einer Festnahme im Kühlraum einer Eisfabrik. Sie holte die Flasche aus der Seitenablage des Wagens, wollte sie ansetzen und schrie:
    »Da vorne!«
    Sven Rösner, Polizeiobermeister und Loser der Woche – Sanela wusste, wie man die Kollegen nannte, die mit ihr zusammenarbeiten mussten –, trat auf die Bremse. Sie flog nach vorne, der Gurt spannte sich mit einem Ruck, das Wasser schwappte über.
    »Wo denn?«, fragte Sven irritiert, denn vor dem Wagen war weder eine hilflose Person noch ein Krater aufgetaucht.
    Sanela wischte sich das Wasser aus dem Gesicht und betrachtete die dunklen Flecken, die sich auf dem Uniformhemd ausbreiteten. Sie wusste bei Sven nie so genau, ob er solche Dinge mit Absicht oder einfach nur aus Dummheit tat. Es gab Kollegen, die provozierten diese kleinen Zwischenfälle. Nur um endlich die Gelegenheit zu haben, die Worte »Sanela« und »nass machen« in einem Satz unterzubringen. Sven war anders. Bei ihm tendierte sie gelegentlich zur zweiten Annahme.
    »Rechts. Absolutes Halteverbot.«
    Ein Toyota, obere Mittelklasse, parkte halb auf der Fahrbahn, halb auf dem Seitenstreifen. Mit einem Seufzen setzte Sven den Blinker.
    »Der ist in der Bäckerei«, sagte er und wies mit dem Kopf auf eines dieser kleinen Ladenlokale, die Zeitungen, Kaffee, Brötchen und staubtrockenen Streuselkuchen anboten. »Der kommt doch gleich wieder raus.«
    »Muss ich das jedes Mal diskutieren?«
    Der Streifenwagen rollte an den Straßenrand. Sanela löste den Gurt, verstaute die Wasserflasche, stieg aus und prüfte den Sitz von Dienstwaffe und Erfassungsgerät.
    Die Luft schmeckte nach Schwermetall und Sprit, Abgasen und Feinstaub. Ein Laster donnerte vorbei, bestimmt schneller als die erlaubten fünfzig Stundenkilometer. Noch während sie auf den falsch geparkten Wagen zuging, hörte sie das Funkgerät plärren. Hoffentlich war der Einsatz in der Nähe und endlich mal etwas Spannendes. Mit Strafzetteln alleine würde sie kaum den begehrten Aufstiegsvermerk in ihrer Personalakte erhalten. Sie müsste Kinder aus brennenden Häusern retten, U-Bahn-Hooligans in Schach halten, alten Damen die gestohlene Handtasche samt Geldbeutel zurückbringen, Wirtshausschlägereien schlichten, prügelnde Ehemänner abführen … all diese Dinge, mit denen man sich nach vorne durchschlug, um unter den Ersten zu sein, wenn es um Weiterbildung und Beförderung ging.
    Sie sah, wie Sven mit der Einsatzleitstelle sprach. Das sah gut aus. Könnte sogar etwas Wichtiges sein. Je wichtiger, desto besser. Sie war versucht, die Verwarnung Verwarnung sein zu lassen und zu Sven zurückzukehren, doch in diesem Moment stürzte der Besitzer des Wagens aus der Bäckerei. In der einen Hand die Brötchentüte, in der zweiten den Autoschlüssel. Ein gelackter Anzugträger mit dem typischen Das-könnt-ihr-mit-mir-nicht-machen-Ausdruck im Gesicht.
    »Entschuldigung!«
    Alle Empörung des rechtschaffenen, steuerzahlenden Bürgers, der in die gierigen Klauen der Exekutive geraten war, lag in diesem Wort. Wenn sie jetzt umkehren würde, wäre das das völlig falsche Signal. Sie prüfte die grüne Umweltplakette und widmete sich dann TÜV und ASU . Dazu musste sie den Wagen umrunden.
    »Ich war nur zwei Minuten da drin. Zwei Minuten! Wo soll man denn sonst hier parken?« Er lief ihr hinterher. Sanela tippte das Kennzeichen in das Erfassungsgerät und wartete darauf, dass der Strafzettel ausgedruckt wurde.
    »Ich bin doch da. Herrgott! Ich stehe direkt vor Ihnen. Ich habe es sogar eilig. Können Sie nicht ein Auge zudrücken?«
    Die Charmebolzen-Offensive. Er war nur ein paar Jahre älter als sie. Aber er hatte studiert, arbeitete irgendwo im mittleren Management und hatte diesen treuherzigen Augenaufschlag wohl nächtelang vor dem Spiegel geprobt.
    »Absolutes Halteverbot. Ich könnte den Wagen auch abschleppen lassen.«
    »Jaja«, knurrte er. Den Charme knipste er aus wie eine Lampe. Er sah auf sie herab. Sie war knapp einen
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