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Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Tierpfleger war klatschnass, wahrscheinlich hatte er gerade das Pinguinbecken gekärchert.
    »Los jetzt.« Sie riss Dilshads Hand vom Geländer los.
    »Ich hab’s gesehen!«, schrie das Kind. »Es lag auf der Schubkarre, und das Schwein hat sie umgestoßen und gefressen, und der Clown …«
    Keuchend erreichte Sanela den breiten Weg mit den Bänken. Langsam, ganz langsam zerstreute sich die Menge. Sie sah weitere Kinder, die hilflos herumirrten und dann, als Dilshad sie rief, schnell zu ihnen gelaufen kamen.
    »Das ist Luise!« Dilshad deutete auf ein blondes Mädchen mit Tränenspuren in dem kleinen Gesicht. »Sie hat’s auch gesehen!«
    Hinter Luise tauchte Katharina Spengler auf. Ihr Haar hatte sich gelöst, von ihrer Bluse fehlte ein Knopf. Zwei Jungen folgten ihr und versuchten, nicht allzu begeistert auszusehen. Es gelang ihnen nur schlecht. Der Unterhaltungswert eines Tierparkbesuchs hatte sich mit diesem Vormittag offensichtlich immens gesteigert. Verzweifelt zählte Frau Spengler die Schar der Kinder, um sich dann mit einem Aufseufzen der Erleichterung auf die Bank fallen zu lassen. Luise stürzte auf sie zu, vergrub den kleinen Lockenkopf im Schoß der Erzieherin und schluchzte.
    »Alle da?«, fragte Sanela. Die Frau nickte und strich dem Kind begütigend über den Kopf. Sie sah aus, als würde sie jeden Moment das Weite suchen.
    »Bitte bleiben Sie noch. Wir brauchen Ihre Aussage.«
    »Sie haben doch alles, was Sie brauchen.« Katharina Spengler stand auf und begann, ihren Schützlingen die derangierten Kleider und Rucksäcke zu richten. »Ich muss die Kinder jetzt zurückbringen. Das war ein Schock. Und dann all diese Menschen …«
    Dilshad setzte sich zu ihrer kleinen Freundin.
    »Wir haben alles gesehen«, wiederholte das Kind. »Der Clown war’s.«
    »Unsinn«, widersprach die Erzieherin. »Seid ihr alle so weit? Lukas? Wo ist Lukas?«
    »Dahinten!«, schrien die Kinder durcheinander.
    »Musst du immer wieder eine Extraeinladung haben?«
    Die Erzieherin stürzte auf den Jungen zu, der schon wieder auf halbem Weg zur Absperrung gewesen war.
    Sanela ging zur Bank und setzte sich neben die beiden Mädchen. »Warum glaubst du, dass es der Clown war?«
    »Weil er mit der Schubkarre kam, und da lag was drauf.«
    »Was denn?«
    Dilshad starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. Sanela unterdrückte einen Fluch. Was sie hier brauchte, waren Psychologen und kompetente Vernehmer, waren Leute, die Ordnung in das Chaos brachten und Eindrücke sammelten, bevor die Erinnerung sie durcheinanderwirbelte. Bevor Streifenpolizistinnen ihnen einredeten, dass das alles nur ein blödes Spiel gewesen war, um sie vor Alpträumen zu bewahren. Sie holte einen Notizblock und einen Stift heraus.
    »Was lag auf der Schubkarre?«
    »Es war …«
    Katharina Spengler baute sich vor ihnen auf, und ihr Blick verhieß nichts Gutes. »Das Kind sagt gar nichts. Es steht unter Schock. Wir müssen los.«
    »Was ist ein Schock?«
    Luise hob den Kopf. Der Blick auf das Gehege war einen Moment lang frei. Und damit auch auf die merkwürdigen blutigen Klumpen.
    »Wer sind Sie eigentlich?«, fauchte die Frau.
    »Mein Name ist Sanela Beara, Polizeimeisterin. Ich bin …« Sie zögerte für die Länge eines Wimpernschlags. »… wir waren gerade in der Nähe … egal. Die anderen Kollegen werden gleich hier sein.«
    »Sanella?« Endlich wandte sich Luise ab. Der Ausdruck, mit dem sie die Streifenpolizistin musterte, war eine Mischung aus Neugier und Belustigung. »Wie die Margarine?«
    »Fast. Magst du mit mir kommen, und wir setzen uns irgendwohin? Ich kauf dir ein Eis, und du erzählst mir alles. Dir auch, Dilshad.«
    »Was für ein Eis?«, fragten Luise und Dilshad wie aus einem Mund.
    »Schlumpfeis?«
    »Moment!«
    Die restliche Kinderschar stand in Zweierreihen wie die Zinnsoldaten hinter der Erzieherin. Sie sahen alle aus, als ob sie ein Schlumpfeis vertragen könnten. »Ich trage die Verantwortung für die Kinder. Ich möchte nicht, dass Sie mit ihnen reden.«
    Sanela ignorierte den völlig berechtigten Einwand.
    »Sag mal, Luise, wie alt bist du denn?«
    »Fünf Jahre und elf Monate. Nach den Sommerferien komme ich in die Schule.«
    »Aah.« Die Streifenpolizistin strahlte. »Dann bist du ja schon groß. Erzähl mir doch mal, was du beobachtet hast.«
    »Dürfen Sie das eigentlich?«, mischte sich Katharina Spengler wieder ein. »Ich werde die Mädchen jetzt nach Hause bringen. Wenden Sie sich an die Eltern, wenn Sie oder Ihre
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