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Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Meter sechzig groß. Den halben Zentimeter, der ihr für die Mindestgröße fehlte, hatte ihr der Amtsarzt im Hinblick auf ihre Qualifikation als Quotenmigrantin geschenkt. Sie schminkte sich nur sehr dezent, und ihre Haare trug sie, zu einem nachlässigen Pferdeschwanz gezwirbelt, unter der Mütze. Weil sie sehr auf ihr Äußeres achtete, wusste sie, dass das senfgelbe Hemd sie noch blasser machte, als sie es ohnehin schon war. Die ganze Uniform war eine Zumutung für Frauen und wohl auch für ihr Gegenüber.
    »Was anderes bleibt Ihnen wohl auch nicht übrig.«
    »Wie meinen Sie das?« Witze übers Abschleppen konnte sie mittlerweile im Schlaf erzählen. Vielleicht war ihm ein neuer eingefallen. »Und während Sie sich die Antwort überlegen, zeigen Sie mir bitte Ihre Ausweis- und Fahrzeugpapiere.«
    Sie riss den Papierstreifen ab. Der Mann nahm ihn, zerknüllte den Verwarnungsbescheid kopfschüttelnd und ließ ihn vor Sanela auf die Straße fallen.
    »Aber gerne doch.« Er suchte seine Brieftasche.
    Sie warf Sven einen schnellen Blick zu, der das Gespräch beendet hatte und nun ebenfalls das Fahrzeug verließ.
    »Wir müssen!«, brüllte ihr Kollege gegen den Verkehrslärm an. »Ein dringender Einsatz im Tierpark.«
    »Moment!«
    Sie betrachtete den Personalausweis des Mannes, las den Namen und die ausstellende Behörde und verglich die Nummernkombination des Fahrzeugscheins mit den Kennzeichen, und das tat sie gründlich. Erst dann reichte sie die Papiere dem Mann zurück, der sie wieder einsteckte und zu seinem Wagen marschierte.
    »Herr Saaler, einen Augenblick.«
    »Was ist denn noch?«, fragte er ungeduldig.
    Das Erfassungsgerät spuckte einen zweiten Verwarnungsbescheid aus. »Paragraph einundsechzig Absatz zwei.«
    Fassungslos starrte der Mann auf den nächsten Strafzettel. »Noch mal fünfundzwanzig Euro?«
    Sie deutete auf das zusammengeknüllte Papier im Rinnstein. »Sie haben außerhalb einer zugelassenen Abfallbeseitigungs anlage Gegenstände des Hausmülls unbedeutender Art ent sorgt.«
    Oh ja. Es gab die Gesetze. Man musste sie nur anwenden.

2
    D er Pekari-Eber, ein gedrungenes Paket aus Muskeln, mit breitem Kopf und kleinen dunklen Augen, scharrte mit den Klauen. Er schob etwas vor sich her, schnüffelte, ließ es liegen und trampelte es beim Abwenden in den Mulch. Es war hell, blutverschmiert und hatte fünf Finger.
    Die Frau, die den Notruf abgesetzt hatte, hieß Katharina Spengler. Sie war Erzieherin und verlor offenbar gerade die Kontrolle über ein Dutzend Kinder im Vorschulalter. Sanela hatte sie in der Menge bei dem verzweifelten Versuch entdeckt, ihre Schützlinge zusammenzutreiben und irgendwo ein Stück weiter weg zu versammeln.
    »Machen Sie den Weg frei!«, rief Sanela. Ein paar Leute reagierten, der Rest rottete sich noch dichter vor dem Gehege zusammen. Einige hielten Handys hoch und fotografierten. Für wen? Für was? Sanela wusste, dass die Bilder Sekunden später auf ewig im Internet herumgeistern würden.
    Sie schnappte dem Nächstbesten, einem jungen, dicklichen Mann mit teigiger Gesichtsfarbe, der um diese Tageszeit entweder in der Schule oder am Ausbildungsplatz zu sein hatte, sein Handy weg.
    »Hallo?«, fuhr er sie an. Er trug die Uniform des Ostber liner Prekariats: Baseballkappe, Turnschuhe mit offenen, verdreckten Schnürsenkeln und eine weite, auf den Knöcheln schleifende Jeans. Moonwashed . Das war im Westen schon wieder out.
    »Sie können es sich auf der Wache abholen, nachdem wir es gecheckt haben.«
    »Ey, Alte …«
    »Ey, Junge«, pfiff Sanela ihn an. »Ich kann auch anders. Papiere?«
    Sie konnte gar nicht so schnell Hallo rufen, wie der Mann in der Menge untertauchte. Einige der Leute, die die Szene mitbekommen hatten, steckten ihre Apparate weg und suchten ebenfalls das Weite. Unschlüssig hielt sie das Handy in der Hand. Ein iPhone der neusten Generation, erst seit ein paar Wochen auf dem Markt. Wahrscheinlich hatte er es irgendwo in der U-Bahn einer verschüchterten Vierzehnjährigen weggenommen. Sie sah Sven in der Menge auftauchen.
    »Auseinander bitte! Hier gibt es nichts zu sehen!«, rief er.
    Sie steckte das Handy ein und wandte sich an Katharina Spengler. Eine große, kräftige Frau – zumindest in Sanelas Augen, denn sie wurde von der Erzieherin um eine Haupteslänge überragt.
    »Kommen Sie. Wir suchen uns einen Platz, wo wir uns in Ruhe unterhalten können, bis die Kollegen kommen«, sagte Sanela.
    Ein schnelles Protokoll, ein kurzer Blick in den
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