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Das Deutsche als Männersprache

Das Deutsche als Männersprache

Titel: Das Deutsche als Männersprache
Autoren: Luise F. Pusch
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(Kater), obwohl für dieses Individuum ein geschlechtsspezifisches feminines Gattungsnomen (Katze) und ein geschlechtsneutrales, ebenfalls feminines Archilexem (Katze) zur Verfügung stehen:

    Linguistisch gesehen hat Herr Kalverkämper also keinen Grund, sich gegenüber der Katze benachteiligt zu fühlen. Mit anderen Worten: Wenn der Katze kein Unrecht geschah oder nur geringfügiges, so geschah auch Herrn Kalverkämper kein oder nur geringfügiges Unrecht.

    B. Sozialpsychologische Analyse

    Der Verkäufer begeht einen schweren Fehler (d. h. er verletzt eine Grundregel sozialen Verhaltens) und einen geringfügigen, den man als Skurrilität einstufen kann.
    1. Fehler: Er identifiziert einen Mann als Frau. Herr Kalverkämper, der korrekt gekleidet ist, kann daraus nur schließen, daß der Verkäufer entweder verrückt ist oder ihn auf den Arm nehmen will.
    2. Fehler: Der Verkäufer identifiziert eine Katze als Kater. Die Katze merkt es nicht. Herrn Kalverkämper wird die Fehlidentifikation relativ gleichgültig sein. Er wird sich vielleicht wundern und den Verkäufer fragen: »Wie kommen Sie darauf, daß es ein Kater sein soll ?«
    Fazit: Ob eine Fehlidentifikation einen sozialen Verstoß darstellt oder nicht, hängt nicht notwendig von den sprachlichen Mitteln ab, mit denen sie durchgeführt wird. Es hängt davon ab, welches Bewußtsein das fehlidentifizierte Individuum von seiner Identität hat. Da die Katze kein Bewußtsein ihrer Identität hat 3 , ist sie auf diesem Gebiet sozusagen nicht »beleidigungsfähig«, Herr Kalverkämper hingegen sehr wohl.
    Die »Normalform« dieser Anekdote hätte so ausgesehen, daß eine Kundin den Laden mit einem Kater betritt und der Verkäufer sagt: »Sie sind heute schon der dritte Kunde mit einer Katze .« Der Kater hätte nichts gemerkt. Nicht einmal Kater Murr hätte etwas zu murren gehabt; er mußte sich lange schon daran gewöhnen, unter dem Archilexem Katze subsumiert zu werden. Und die Kundin? Sie hat vermutlich die Ohren schon so voll Männersprache, daß sie fast ertaubt ist und die Sache ganz normal findet. Handelt es sich aber unwahrscheinlicherweise um eine Frau mit einem noch oder wieder hörfähigen Ohr für sprachliche Diskriminierungen, so stehen ihr zwei Wege offen: Sie kann schweigen und etwa so überlegen: »Nun ja, ich bin zwar eine Frau, also ein Kundin, aber die beiden anderen werden wohl Männer gewesen sein, und der Verkäufer wußte sich anscheinend nicht besser zu helfen. Schwamm drüber — nicht der Verkäufer ist frauenfeindlich, sondern die Sprache .« Sie kann aber auch den Verkäufer zur Rede stellen und sagen: »Wieso Kunde? Sehe ich vielleicht aus wie ein Mann, oder was wollten Sie damit sagen? Als Verkäuferin sind Sie eine Niete, Verehrteste !« Der Verkäufer wird es nun schwer haben, falls er nicht zufällig linguistisch gebildet ist und den persönlichen Vorwurf geschickt auf »die Sprache« abwälzen kann (diese Strategie ist bei Linguisten — Kalverkämper eingeschlossen — sehr beliebt, die mit dem Thema »Frauensprache« konfrontiert werden). Wie dem auch sei -in keinem Fall aber hätte die Frau einen Anlaß, den Verkäufer für verrückt zu halten, also den Weg zu beschreiten, der Herrn Kalverkämper für seine Identitätssicherung breit offenstand. Dafür sorgen die Besonderheiten unseres deutschen Sprachsystems, mit denen Trömel-Plötz sich auseinandersetzt.

2 Wahrgenommenwerden, Beachtetwerden, Identifiziertwerden und Gemeintsein

    Herr Kalverkämper und die Katze wurden in dem obigen Sketch von dem Verkäufer zwar fehlidentifiziert, aber immerhin wahrgenommen. In Vis-à-vis-Situationen ist Wahrgenommenwerden die Voraussetzung dafür, daß man (richtig oder falsch) identifiziert wird.
    Es ist für alle Menschen existentiell wichtig, von anderen Menschen wahrgenommen, beachtet und in ihrer Identität bestätigt zu werden. Das wissen wir alle aus Erfahrung: Wir sind irritiert bis verletzt, wenn wir von Leuten, die uns persönlich kennen, mit falschem Namen angesprochen werden (Fehlidentifikation); wir vertragen es nicht, wenn man im Krankenhaus von uns als »dem Magengeschwür auf Zimmer 217« spricht; wir erleben oft den berechtigten Zorn und/oder die Verzweiflung von Kindern, die von Erwachsenen nicht wahrgenommen werden und nun mit allen Mitteln versuchen, auf sich aufmerksam zu machen, oft sogar nach der Devise: »Besser unangenehm als gar nicht auffallen.« Politisch machtlose und deshalb nicht wahrgenommene Gruppen greifen
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