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Das Deutsche als Männersprache

Das Deutsche als Männersprache

Titel: Das Deutsche als Männersprache
Autoren: Luise F. Pusch
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»Wenn ich ja zu meiner Familie sage, muß ich auch ja zu meiner Frau sagen .« Auch diese Version ist noch eigentümlich, weil das Ja zu seiner Familie nach gängiger Logik seine Frau einschließt — aber trotzdem: damit wäre mir schon viel Grübeln erspart geblieben.
    Aber möglicherweise klang ihm das zu privat, nicht staatsmännisch genug. Was er sich selbst zurief, wollte er als Landesvater zugleich allen Landeskindern Zurufen. Nur hat er dabei vergessen, daß nicht alle Landeskinder, die ja zur Familie sagen, auch ja zu ihrer Frau sagen können, weil nämlich viele keine haben. Frauen haben keine Frau, Kinder haben keine, unverheiratete Männer haben keine.
    Das sind schätzungsweise 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung, die er da vergessen hat. Wie konnte das geschehen?

2 Der Mensch in seinem Widerspruch

    Helmut Kohl hat überhaupt nicht 70 bis 80 Prozent vergessen, sondern nur etwa 15 Prozent: die männlichen Kinder und die unverheirateten Männer. Die restlichen ca. 53 Prozent sind Mädchen und Frauen, und die hat er nicht vergessen, sondern nicht mitgerechnet.
    Mit »Wer ja sagt zur Familie« sind nicht Tiere oder Gegenstände gemeint, sondern Menschen. Nur Menschen können ja sagen. Und alle Menschen, die ja sagen zur Familie, sind gemeint.
    Was nun die Frauen betrifft, so steht bis heute nicht eindeutig fest, ob sie Menschen sind. Bekanntlich stehen in der Bibel zwei verschiedene Schöpfungsberichte, und ausgerechnet in diesem zentralen Punkt, ob die Frau nun ein Mensch sei oder nicht, widersprechen sie sich und lassen uns mit dem Widerspruch allein in alle Ewigkeit.
    In Genesis 1.27 heißt es: »Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie einen Mann und ein Weib .« Schuf Gott nun einen oder zwei Menschen? Die Stelle ist sprachlich etwas seltsam.
    In Genesis 2 ist nur von einem Menschen die Rede, von dem Menschen:

    Vers 7: Und Gott der Herr machte den Menschen aus einem Erdenkloß, und er blies ihm ein den lebendigen Odem in seine Nase. Und also ward der Mensch eine lebendige Seele.

    Vers 8: Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden gegen Morgen und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte.

    Vers 16: Und Gott der Herr gebot dem Menschen und sprach...

    Vers 18: Und Gott der Herr sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei.

    Vers 22: Und Gott der Herr baute ein Weib aus der Rippe, die er von dem Menschen nahm, und brachte sie zu ihm.

    Vers 23: Da sprach der Mensch: Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch; man wird sie Männin heißen, darum daß sie vom Manne genommen ist.

    Das Wort Mensch (hebr. adam) hat also in der Bibel zwei Bedeutungen. Aus Genesis 1.27 folgt, daß Männer und Frauen Menschen sind. Beide zusammen sind Ebenbild Gottes. Aus Genesis 2 folgt dagegen, daß der Mensch ein Mann ist und daß es neben dem Menschen als seine Gehilfin noch »das Weib« bzw. »die Männin« gibt. Ihr blies Gott keinen lebendigen Odem in die Nase. Ob sie also wie der Mensch eine lebendige Seele ist, muß bezweifelt werden. Aber »menschlich« darf sie wohl genannt werden, denn sie ist ja Fleisch vom Fleische des Menschen, und wir unterscheiden ja auch sonst streng zwischen menschlichen und tierischen Produkten.
    Vom Menschen in Genesis 2 wird übrigens nicht gesagt, daß er das Ebenbild Gottes ist.
    Der Widerspruch zwischen Genesis 1 und 2 ist unauflöslich, und die Folge davon ist: Unklarheit, Unsicherheit über den Status der Frau, und zwar in Permanenz, von den Anfängen bis heute.
    Ein ungeheuer diffiziles Problem, auch sprachlich: Als Tier oder Pflanze kann die Frau nicht eingestuft werden, denn die Bibel sagt ja klipp und klar, sie sei ein Mensch. Als Mensch kann sie aber auch nicht eingestuft werden, denn die Bibel sagt ebenso klipp und klar und wiederholt es nachdrücklich: Der Mensch ist der Mann.
    Die sprachliche Lösung, die für dieses Problem gefunden wurde, kann nicht anders als genial bezeichnet werden.
    Eine global und seit Urzeiten gültige Sprachregelung sorgt dafür, daß die Bezeichnungen für die Bestimmt-Menschen (Männer) wahlweise die Vielleicht-Menschen (Frauen) einschließen können.
    Wir empfinden das zwar durch die lange Gewohnheit als selbstverständlich oder banal, keineswegs als »genial« — es ist aber trotzdem einzigartig und auch die einzige Möglichkeit, mit dem uns auferlegten Widerspruch zu leben, ihn lebendig zu erhalten,
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