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Das Deutsche als Männersprache

Das Deutsche als Männersprache

Titel: Das Deutsche als Männersprache
Autoren: Luise F. Pusch
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nach derselben Devise in letzter Zeit immer häufiger zum Terror.
    Diese Alltagserfahrungen und — eindrücke werden von sehr unterschiedlichen Wissenschaftszweigen aufgearbeitet, bestätigt und theoretisch erklärt, am eindrucksvollsten vielleicht von der modernen Schizophrenieforschung (Laing u. a.), der Kommunikationstheorie (Watzlawick u.a.), der psychoanalytischen Narzißmustheorie (Kohut, Miller u. a.), der Hospitalismusforschung (Spitz u.a.), der psychoanalytischen Aggressionsforschung (Fromm u. a.) und von der sozialpsychologischen Identitätstheorie und — forschung in der Nachfolge von G. H. Mead. Die Sozialpsychologie unterscheidet mit und seit Mead 1934 zwischen dem spontanen Teil des Selbst (»I«) und dem sozialisierten Teil des Selbst (»Me«). Den sozialisierten Teil des Selbst nennt man auch Identität. Identität ist das Ergebnis eines Zusammenwirkens von Identifizierungen durch andere und Selbstidentifikation (Aneignung der Identifizierungen). Herr Kalverkämper ist zeit seines Lebens als »Mensch« und als »männliches Wesen« identifiziert worden, seit einiger Zeit auch als »Wissenschaftler« und »Linguist«. Infolgedessen wird er sich auch selbst so identifizieren, machen diese Identitäten zusammen mit noch anderen nun seine Gesamtidentität aus. Wird die Identität »männliches Wesen« von einem Verkäufer zufällig einmal nicht bestätigt, so wird das Herrn Kalverkämper nicht weiter erschüttern, es wird nicht zu einer Identitätskrise führen.
    Identifiziertwerden ist also die Voraussetzung zur Gewinnung einer Identität, die wiederum die Voraussetzung für psychisches, soziales, wenn nicht sogar biologisches Überleben ist (vgl. Dürkheims Studie über Anomie und Selbstmord (1897)). Bestätigung der Identität durch andere (Richtig-Identifiziertwerden) ist notwendig zur Bewahrung und Aufrechterhaltung dieser Identität. Frauen befanden und befinden sich aber häufig in der schizophre-nogenen Lage, daß ihnen sogar die Identität »menschliches Wesen« nicht bestätigt wurde oder wird (von anderen Teilen ihrer jeweiligen Gesamtidentität zu schweigen) — einfach deswegen, weil sie als Mitglieder der Spezies Mensch und anderer Gruppen, denen sie faktisch angehören, nicht wahrgenommen werden. Ich bringe zunächst zwei Beispiele.
    Erstes Beispiel: Mit dem du (sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, nicht töten, nicht stehlen, nicht ehebrechen, etc.) der Zehn Gebote soll sich die ganze Menschheit angesprochen fühlen, so lehrt uns die Kirche. Doch beim zehnten Gebot dann, Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weih etc., muß frau schließen, daß sie mit dem du nicht gemeint ist (es sein denn, sie ist lesbisch), daß sie somit wahrscheinlich auch in den anderen Geboten nicht gemeint war und daß sie folglich als Mensch überhaupt nicht wahrgenommen wurde, wohl aber als Besitz des Menschen = Mannes — auf einer Stufe mit seinem Haus, Acker und Vieh.
    Zweites Beispiel: Ich gehe ins Büromateriallager der Universität Konstanz. Auf dem Weg dorthin werde ich von vielen wahrgenommen, mit freundlichem Gruß beachtet, mit freundlicher Anrede identifiziert. Dann aber erblicke ich in der Materialausgabe folgende Vordrucke:

    Universität Konstanz 775 Konstanz, den

    Sehr geehrter
    Dear

    Ich bedauere, daß von dem von Ihnen gewünschten Artikel
    I regret that reprints of the article you requested

    keine Sonderdrucke mehr zur Verfügung stehen.
    are no longer available.

    Mit den besten Grüßen
    Sincerely yours

    Universität Konstanz 775 Konstanz, den

    Sehr geehrter Herr
    Dear Sir
    Monsieur

    Für die freundliche Übersendung eines Sonderdruckes Ihrer Arbeit:
    I would greatly apprecitate receiving a reprint of your article:
    Je vous serais très obligé, si vous vouliez bien m’envoyer un tirage à part de votre article intitulé:

    wäre ich Ihnen sehr zu Dank verpflichtet. Mit den besten Grüßen
    Yours sincerely
    Avec nos remerciements et l’expression de nos sentiments les meilleurs

    Wer auch immer diese beiden Texte ersonnen und ihre tausendfache Vervielfältigung angeordnet haben mag, er/sie hat die Existenz forschender und publizierender Frauen in Konstanz und anderswo nicht wahrgenommen und damit diese Frauen selbst ignoriert. 4 Ein wesentlicher Teil meiner Identität (»forschendes Mitglied der Uni Konstanz«) wird hier von der Institution, der ich angehöre, nicht bestätigt (eindeutiges Indiz dafür ist das mask. obligé in dem zweiten Vordruck). Ich befinde mich damit
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