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Das Deutsche als Männersprache

Das Deutsche als Männersprache

Titel: Das Deutsche als Männersprache
Autoren: Luise F. Pusch
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in einer ähnlich paradoxen Lage wie Herr Kalverkämper in meiner Einleitungsanekdote. Die Anekdote war aber frei erfunden und total absurd. Mein Erlebnis ist weder erfunden noch absurd; es ist vielmehr typisch und steht hier für viele derselben Art, von denen ich seitenlang berichten könnte. Und die Vordrucke betreffen und treffen mit ihrem durch die Mehrsprachigkeit als international definierten Adressatenkreis nicht nur ein Einzelindividuum, sondern alle Frauen in meiner Berufssituation. Wir alle werden durch derartige Akte des Ignorierens permanent in unserer Identität beschädigt, denn wir können nicht den an sich zwingenden Schluß ziehen, daß die Institutionen verrückt sind — ihr Verhalten ist ja so schrecklich »normal« und alltäglich.
    Was hat das alles nun mit Sprache zu tun? Sehr viel. Das deutsche Sprachsystem z.B. mit seinen im Bereich der Berufs- und sonstigen Personenbezeichnungen ausschließlich maskulinen »Archilexemen« 5 enthält, wie Trömel-Plötz ausführt, aufgrund seiner semantischen Struktur für Männer mehr Chancen des Gemeintseins und damit des Identifiziertwerdens als für Frauen. »Rein semantisch«, das bestätigt auch Kalverkämper, enthalten Sätze wie

    Der/Ein Berliner ist schlagfertig.
    (Die) Berliner sind schlagfertig.

    wegen ihrer zwei Lesarten (»alle, die in Berlin wohnen«, »alle Männer, die in Berlin wohnen«) für Männer zwei Chancen des Gemeintseins und für Frauen eine. Gewichtet man nun noch das Ausschließlich-Gemeintsein als doppelte und das Mitgemeintsein als einfache Chance, so haben Männer dreimal so viel Chancen wie Frauen.
    Man kann also unser deutsches Sprachsystem in diesem Bereich mit einer Lotterie vergleichen, in dem Männer mit jedem Los gewinnen (mit beiden Lesarten gemeint sind), Frauen aber nur mit jedem zweiten. Noch treffender ist vermutlich der gewichtende Vergleich mit einer Lotterie, bei der Männer mit der einen Hälfte der Lose doppelt gewinnen (nämlich auf Kosten der Frauen) und mit der anderen Hälfte einfach, Frauen hingegen bei der einen Hälfte der Lose leer ausgehen und bei der anderen nur eine einfache Gewinnchance haben.
    Soweit die »rein linguistische« Seite dieses ungerechten Spiels. Es wird nun oft argumentiert, daß der Situations- oder sprachliche Kontext diese historisch gewachsene und objektiv gegebene, aber erst seit kurzem öffentlich diskutierte und wissenschaftlich beachtete Chancenungleichheit der Frau klar ausgleiche, kurz: daß wir Frauen doch selbstverständlich immer mitgemeint seien. Dazu ist gleich mehreres zu sagen:
    1. Wie Stanley (1977) am Beispiel des englischen generisch gebrauchten he nachgewiesen hat, ist es im Gegenteil oft so, daß der Kontext, ähnlich wie der Kontext der Zehn Gebote, den Frauen klare Information liefert, daß sie keineswegs gemeint sind, also eine Niete in der Lotterie gezogen haben, eine Verletzung ihrer Identität hinnehmen müssen. Für das Deutsche habe ich das nicht näher untersucht, aber die folgenden, während einer einstündigen Lektüre gefundenen Belege stimmen mich nicht optimistischer als Stanley:

    (1) Dennoch können wir, wenn wir beispielsweise einen Menschen in die obere Mittelklasse einordnen (ohne etwas anderes von ihm zu wissen und vielleicht, ohne ihn jemals gesehen zu haben), mit ziemlicher Sicherheit etwas über die Aufteilungseiwes Haushaltsgeldes aussagen, die Anzahl seiner Kinder erraten, die Lage seiner Wohnung und die Art und Weise, wie er seine Ferien verbringt. Das ist aber noch nicht alles. Wir können auch in vielen Punkten auf seine politische Einstellung schließen, wir vermuten seine Religionszugehörigkeit und die Art der Bücher, die er liest. Wir können sogar Voraussagen, ob er mit seiner Frau bei Lampenlicht oder im Dunkeln Verkehr haben wird... ( Berger und Berger 1976: 92).

    (2) Der Leser stelle sich einmal die eigene Person als Erneuerer der Grammatik oder des Wortschatzes vor. Vielleicht kann er in seiner nächsten Umgebung, seiner Mikrowelt, manchmal bescheidenen Erfolg erzielen. Tatsächlich war ihm der wohl schon in seiner Kindheit beschieden. Die Familie hat vielleicht etwas von seinem kindlichen Kauderwelsch in die interne Familiensprache übernommen. Als Erwachsener kann man ähnliche Miniatursiege erringen, wenn man sich mit seiner Frau ... auf eine bestimmte Formulierung einigt ( Berger und Berger 1976: 52)-

    (3) Und die Art des »Verstandes« oder des »Denkens«, die dem Einzelnen zur Gewohnheit gemacht wird, ist
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