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Das Deutsche als Männersprache

Das Deutsche als Männersprache

Titel: Das Deutsche als Männersprache
Autoren: Luise F. Pusch
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menschlichen Sprachzentrum zu postulieren, der unsere Kernvorstellungen in die »richtigen, passenden« Laute umsetzt.
    Wie also neueste (wohlgemerkt: linguistische!) Forschungen ergeben haben, ist unser Dogma von der Arbitrarität des Zeichens anscheinend revisionsbedürftig. Einer Arbeit, die es »mißachtet«, kann also die Mißachtung nicht mehr gut als unlinguistisch angekreidet werden — eher erweist sich der Tadel als Bumerang.
    Außerdem hat weder Trömel-Plötz noch sonst eine feministische Sprachkritikerin gegen das Dogma in der obigen Minimalformulierung unlinguistisch aufbegehrt. Keine Frau hat etwa gequengelt, sie wolle lieber, sagen wir, mit Glau bezeichnet und angesprochen werden, weil ihr die Lautfolge Frau nun mal nicht Zusage.
    Was die Feminist/inn/en am Sprachsystem beschäftigt, sind im wesentlichen
    a) Referenzprobleme, die m. W. vorher weder von de Saussure noch von der Referenzsemantik überhaupt gesehen wurden. Diese Probleme vor allem diskutiert Trömel-Plötz im Abschnitt II (»Frauen und das Sprachsystem«) ihres Artikels,
    b) »Assoziationsreihen« (de Saussure), paradigmatische Beziehungen zwischen Zeichen also — Beziehungen, hinsichtlich derer de Saussure selbst das Zeichen nicht mehr als »arbiträr, beliebig, unmotiviert«, sondern als »relativ motiviert« einstuft:

    Nur ein Teil der Zeichen ist völlig beliebig; ... das Zeichen kann relativ motiviert sein .
    So ist elf unmotiviert, aber dreizehn ist es nicht im selben Grade, weil es an die Glieder denken läßt, aus denen es zusammengesetzt ist, und an andere, die mit ihm assoziiert sind, z.B. drei, zehn, vier-zehn, drei-und-zwanzig usw. (156)

    Schäfer und Dichter sind laut de Saussure »relativ motivierte« Zeichen, weil sie »die einfachen Wörter Schaf, dichten ins Gedächtnis rufen«, Käfer und Trichter dagegen sind »unmotiviert« (156f). Was rufen nun die Maskulina man und jedermann den Frauen ins Gedächtnis? Richtig — das Wort Mann, und es gibt inzwischen zahllose Texte und Kontexte, in denen diese Assoziation störend bis widersinnig wirken muß. In solchen Kontexten verwendet frau deshalb lieber und sinniger frau und jedefrau.
    Mir ist nur ein einziger Fall bekannt, wo Frauen ein (vermutlich, s. o. Ross) echt unmotiviertes Zeichen kritisiert haben — aufgrund einer linguistisch »falschen« Assoziationsreihe (Paradigmabildung). Es ist der Fall des Wortes history, das einige in herstory umbenannt wissen wollten, was denn auch von R. Lakoff 1973 als Verirrung kritisiert wurde (ich find’s eher lustig).
    »Falsche« Assoziationsreihen liegen den meisten Wortspielen zugrunde (vgl. Gynocid), vom Kalauer bis zur hochpoetischen, Worte und Begriffe »verdichtenden« Metapher. Apropos Kalauer: Genauso kreativ wie der traditionelle männliche Chauvinismus (ich erinnere an die »herrlichen Herren« und »dämlichen Damen«) ist der neue Antifeminismus. Die letzten Schöpfungen, die mir zu Ohren gekommen sind, lauten Gebärvater und manche und frauche. Da die Sprache nicht von Linguist/inn/en, sondern von »Laien« »gemacht« wird, müssen wir nun abwarten, welche dieser Kreationen sich durchsetzen. Wenn ich die Lage richtig beurteile, haben herstory, frau und Gynocid bessere Chancen als Gebärvater und manche und frauche.
    Laut Kalverkämper »krankt die von Frau Trömel-Plötz vorgelegte Fragestellung in ihrem Vorgehen und Ergebnis daran..., daß Grundprinzipien der struktural-funktionalen Semantik und damit der Linguistik überhaupt außer acht geblieben sind« (62). Zu diesen Grundprinzipien gehören für ihn neben dem soeben abgehandelten Dogma von der Arbitrarität des Zeichens auch die Begriffe >Neutralisation<, >Opposition< und >Archilexem<.
    Auch dieser Tadel erweist sich als Bumerang, weil er zeigt, daß Kalverkämper die Fragestellung von Trömel-Plötz überhaupt nicht verstanden hat — sie ist allerdings für Linguisten auch ziemlich ungewohnt, ja geradezu revolutionär und von theorieaffizierender Bedeutung, wie ich bereits mehrfach angedeutet habe.
    Es geht Trömel-Plötz eindeutig um ein referenzsemantisches Problem, um die Frage nämlich, ob Aussagen mit Personenbezeichnungen aller Art, von denen es in den Grammatiken und in der Linguistik bisher hieß, sie referierten entweder auf Personen beliebigen Geschlechts oder auf eine Person beliebigen Geschlechts, tatsächlich in der postulierten Weise funktionieren. Zum Untersuchungsgegenstand gehören folglich viele Ausdrücke, auf die die Begriffe >Opposition<
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