Das Deutsche als Männersprache
Kalverkämper ist eine wissenschaftliche Leuchte, über deren Ausführungen sich ihre Kolleginnen und Kollegen ziemlich gewundert haben.
Wie das zweite Beispiel zeigt, gibt es auch hin und wieder Konflikte zwischen männlichem Geschlecht und femininem Genus, aber sie sind in unserer speziellen deutschen Sprachlotterie (vgl. oben Kap. 2) vergleichsweise selten.
In anders zentrierten Studien über Referenzprobleme werden »gestörte« Beziehungen zwischen der grammatischen Kategorie Numerus und der Anzahl der Referent/inn/en analysiert:
* Meine Familie ist ein/e Frühaufsteher/in.
* Meine Familie sind Frühaufsteher/innen.
My family are early risers.
*Jeder blieb sitzen. Er wartete nämlich auf eine Zugabe.
Konflikte zwischen Numerus und Anzahl werden üblicherweise durch Paraphrasen gelöst: In meiner Familie sind alle Frühaufsteher/innen (o.ä.). Diesen Lösungsweg schlägt auch Trömel-Plötz, wie die gesamte feministische Linguistik, für Konflikte zwischen grammatischem und natürlichem Geschlecht vor. Kalverkämper hält dem entgegen, das bedeute eine »erhebliche kommunikative Erschwernis« (64) und führe zu »unökonomischen Schwerfälligkeiten«. Dazu ist zweierlei zu sagen:
1. Der Gesichtspunkt der Ökonomie ist bei einer Diskussion über menschliche Grundrechte (zu denen das Als-Mensch-Respektiert-und Identifiziertwerden gehört) offenbar unangemessen. Renten und die Erhaltung sogenannten »lebensunwerten Lebens« mögen für »die Volkswirtschaft« auch unökonomisch sein — aber das ist wohl kein Grund, gegen sie zu plädieren.
2. Es scheint da eine »richtige« und eine »falsche« sprachliche Ökonomie zu geben. Richtige Ökonomie ist z. B. die in den oben abgebildeten Konstanzer Vordrucken manifestierte — allgemeiner: die Beibehaltung frauenignorierender Formulierungen. »Falsche Ökonomie« wäre es hingegen, die mit dem Wort Fräulein verbundene Verschwendung von Papier, Druckerschwärze und Sprechenergie aufzugeben. Falsche Ökonomie wäre es wohl auch, einfach Trömel-Plötz zu schreiben statt immerfort Frau Trömel-Plötz — wieviel Tippenergie wurde da vergeudet (vermutlich aber bloß von einer Frau)!
Diese Befunde lassen zwei Interpretationen zu, die einander nicht ausschließen: eine »ideologiekritische« und eine »allgemein menschliche«.
a) Ideologiekritische Interpretation:
Es geht überhaupt nicht um sprachliche »Ökonomie« oder »Schwerfälligkeit«, sondern um die Aufrechterhaltung der überkommenen sozialen Klassifizierungen, die in den Anrede-und Bezeichnungsasymmetrien ihren sprachlichen Niederschlag finden. Diese Asymmetrien (Frauen werden anders behandelt als Männer) gibt es nämlich in, linguistisch gesehen, sowohl »ökonomischer« als auch »unökonomischer« Ausprägung.
ökonomisch: Liebe Kollegen
(statt Liebe Kolleginnen und Kollegen ) die Studenten
(statt die Studentinnen und Studenten) Unökonomisch: Herrn/Frau/Fräulein (statt Herrn/Frau)
Frau Trömel-Plötz (statt Trömel-Plötz)
b) »Allgemein menschliche« Interpretation:
Nicht die vorgeschlagenen Umformulierungen sind »schwerfällig« (sie sind ja bisweilen kürzer als die gängigen Formulierungen), sondern wir sind es. Es ist sehr beschwerlich, umzudenken und umzulernen und so alte und eingefleischte Gewohnheiten abzulegen. Das gilt für Frauen wie für Männer, für Sympathisant/inn/en und Aktive wie für Gegner/innen der Frauenbewegung. Ich selbst erlebe es, besonders seit dem Schreiben dieses Artikels, als täglichen Konflikt zwischen theoretischem Selbstanspruch und Trägheit, Unaufmerksamkeit, Gewohnheit. Ich sage weiter Sätze wie Es ist schwer, seine Gewohnheiten zu ändern — und meine damit nicht etwa nur die von Kalverkämper. Schriftlich aber genüge ich meinen eigenen Ansprüchen schon besser als mündlich, weil ich da bewußter formuliere und mehr Zeit habe. Und die feministische Sprachkritik richtet sich ja auch vor allem gegen den »veröffentlichten« Gebrauch sexistischer Sprache in den Massenmedien, Lehrbüchern, Gesetzestexten, amtlichen Vordrucken und Verlautbarungen. Privat begangene Sprachsünden mögen noch eine Weile als läßlich durchgehen, aber offizielle und öffentliche wiegen schwer, weil sie jeweils die Hälfte der Betroffenen (oft eine riesige Anzahl Frauen) »unterbuttern«. Wir wollen angesprochen und explizit benannt werden, um sichergehen zu können, daß auch an uns gedacht wurde. Wir wollen, kurz gesagt, beim Gemeintsein dieselben Chancen haben
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