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Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Titel: Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)
Autoren: Christian Nürnberger
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der Produktion von Papier und Reisen von Konferenz zu Konferenz auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene. Die Pfarrer in den Gemeinden werden unter den Papierbergen begraben und müssen einen wesentlichen Teil ihrer Arbeitszeit darauf verwenden, sich aus den Bergen freizuschaufeln, mit denen sie täglich aufs Neue von oben zugeschüttet werden.
    Findet sich in den Papierbergpredigten wenigstens das eine oder andere Körnchen Wahrheit? Führt von diesen Bergen eine Spur zur Wahrheit oder zum Willen Gottes? Enthalten sie Anleitungen, die christliche Botschaft zu realisieren, Gemeinde aufzubauen, sich zum Leib Christi zu formieren?
    Wer sich an den Berg heranwagt, stößt auf ein Sammelsurium dessen, was in der Zeitung steht und die Welt beschäftigt: Arbeit, Demographie, Flüchtlinge, Gentechnik, Gesundheitsreform, Globalisierung, Irak, Iran, Islam, Kindesmissbrauch, Klimawandel, Ladenöffnungszeiten, Rente und so weiter und so weiter. Die Kirchen sagen heute alles zu allem, gern auch das Gegenteil, und der Bischof Huber, Chef der EKD, gilt den Medien inzwischen als der Allzuständige, der zu jedem x-beliebigen Thema gefragt oder ungefragt aus dem Stand professorale Vorträge von der Dauer eines Fußballspiels zu halten imstande ist.
    Darüber hinaus birgt die kirchliche Papierbergproduktion noch kirchliche Themen im engeren Sinn: Religionsunterricht, Pfarrerbesoldung, Kirchenstrukturreform, feministische Theologie, Bibel in gerechter Sprache, Kirchensteuer, Glaube und Wissen, Brot statt Böller, Beten für den Frieden, Impulspapiere für dieses und Impulspapiere für jenes. Gottes Bodenpersonal beschäftigt sich hauptsächlich und vorzugsweise mit dem, was aus der Welt in die Kirchen hineingetragen wird. Gedacht war es ursprünglich einmal genau umgekehrt. Gott hatte sich ein Volk erwählt, damit sich die Welt mit dem beschäftigt, was dieses Volk in die Welt hinaustragen sollte.
    Selten, sehr selten findet man im kirchlichen Papierausstoß etwas Neues oder Erhellendes zum Thema «Gott», «Glauben im 21. Jahrhundert», «Die christliche Wahrheit». Der Papst scheint der Einzige zu sein, der sich um diese Fragen noch kümmert.
    Aber er tut sich schwer, seinen Kummer denen zu vermitteln, die draußen vor den Vatikanmauern stehen, denn er spricht über sein Anliegen in jener alten, die Last einer zweitausendjährigen Tradition mitschleppenden Formelsprache, die nur die Kirchenprofis zu deuten wissen. Die Übersetzung in die Sprache des modernen theologischen Analphabeten gelingt weder ihm noch seinen Kardinälen. Auch seine Heerscharen von kirchlichen Öffentlichkeitsarbeitern, Rundfunkbeauftragten und Kanzelpredigern tun sich äußerst schwer.
    Unter Fachleuten ist, was die Sache mit Gott betrifft, also in der Hauptsache, so gut wie nichts wirklich geklärt. Aber im kirchlichen Alltag wird so getan, als gebe es da nichts zu klären. Das hauptamtliche Personal der Kirche weiß zwar irgendwo im Hinterkopf noch, dass es sehr wohl einiges zu klären gäbe, fühlt sich aber nicht zuständig, weil man sich dafür ja die Universitätstheologie leistet. An sie wurde das Strittige delegiert. Dort, an der Universität, solle es möglichst auch bleiben. Im kirchlichen Alltag der Gemeinden aber möchte man von Theologie weitgehend verschont werden.
    Das hat erstens zur Folge, dass in den Gemeinden der theologische Analphabetismus fast genauso weit fortgeschritten ist wie außerhalb der Gemeinden. Und weil zweitens die ewig gültige, zeitlos gute Botschaft in der Routine des kirchlichen Alltags als jedermann bekannte und verbindliche Geschäftsgrundlage vorausgesetzt wird, kann man sich mit Leidenschaft auf die tausend Nebensachen stürzen, die sich aus der vermeintlich bekannten Hauptsache ableiten.
    In Wahrheit ist da aber nichts. Eben deshalb leitet ja auch jeder etwas anderes aus der ewig gültigen Botschaft ab. Spricht man kirchenleitende Berufschristen auf diesen heiklen Punkt an, zaubern sie die alten Lehrformeln und Bekenntnisschriften aus dem Hut, in denen doch alles aufs schönste und verbindlich geregelt sei. Anschließend lügen sie die Kakophonie mit der Leerformel von der «Vielfalt in der Einheit» zur eigentlichen Stärke der Kirche empor. Und die zehntausend Theologen, die sich mit diesen Lehr- und Leerformeln noch auskennen, entwickeln dazu im Lauf ihres Schriftgelehrtenlebens hunderttausend Meinungen, weshalb man die katholische Kirche gut verstehen kann, wenn sie ihrem Mann an der Spitze
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