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Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Titel: Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)
Autoren: Christian Nürnberger
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behaupten, er habe sie und spielt damit tatsächlich die undankbare Rolle, die ihm in einem alten Atheistenwitz zugedacht wurde, wo jemand die Unterschiede zwischen einem Philosophen, einem Metaphysiker und dem Papst wie folgt erklärt: Der Philosoph sucht in einem dunklen Raum eine schwarze Katze. Der Metaphysiker sucht in einem dunklen Raum eine schwarze Katze, die gar nicht da ist. Und der Papst sucht in einem dunklen Raum eine schwarze Katze, die gar nicht da ist, aber er ruft: Ich hab sie!
    Wie soll der Papst die Welt davon überzeugen, dass es die schwarze Katze wirklich gibt und, sensationeller noch, er sie tatsächlich hat? Seit der Aufklärung glauben ihm das immer weniger, nicht einmal bei seinen eigenen Angestellten kann er noch sicher sein, dass ihm alle darin folgen.
    Der öffentliche Zuspruch, den kirchliche Großevents derzeit erfahren, und die angebliche Rückkehr der Religionen, die in Wahrheit weit überwiegend nur eine gespenstische Rückkehr der Fundamentalismen und eine reaktionäre Antwort auf die Zumutungen der Moderne ist, ändern nichts an der prinzipiellen Lage der Kirche im 21. Jahrhundert, die der heutige Papst Benedikt   XVI., als er noch Kardinal Joseph Ratzinger war, einmal so auf den Punkt gebracht hatte:

Am Beginn des dritten christlichen Jahrtausends befindet sich das Christentum gerade im Raum seiner ursprünglichen Ausdehnung, in Europa, in einer tief gehenden Krise, die auf der Krise seines Wahrheitsanspruches beruht. … Durch die Evolutionstheorie scheint die Schöpfungslehre überholt, durch die Erkenntnisse über den Ursprung des Menschen die Erbsündenlehre; die kritische Exegese relativiert die Gestalt Jesu und setzt Fragezeichen gegenüber seinem Sohnesbewusstsein; der Ursprung der Kirche in Jesus erscheint zweifelhaft und so fort. Die philosophische Grundlage des Christentums ist durch das «Ende der Metaphysik» problematisch geworden, seine historischen Grundlagen stehen infolge der modernen historischen Methoden im Zwielicht.  27

    Auschwitz hatte der Papst vergessen. Die wenigen christlichen Märtyrer, die sich Hitler in den Weg gestellt hatten, entlasten die Kirche nicht, sondern belasten sie noch schwerer, denn diese Märtyrer starben einsam, und noch durch ihre Gräber schallt die Frage: Warum habt ihr uns allein gelassen? Die gern gestellte Frage «Wo war Gott in Auschwitz?» müsste richtig lauten: Wo waren die Christen? Wo war die Kirche?
    Die Schlussfolgerung Ratzingers bleibt dennoch gültig: «Weil es so steht, muss die altmodische Frage nach der Wahrheit des Christentums neu gestellt werden.»  28
    Luther, Kant, die Aufklärung und Nietzsches «Gott ist tot»-Rufe schlugen mit der Wucht einer Abrissbirne an die Kirchenmauern. Dann kam auch noch Auschwitz. Bis heute verweigert sich die Kirche der Tatsache, dass in Auschwitz mit den Juden auch die letzten, noch vorhandenen Reste kirchlicher Glaubwürdigkeit verbrannten.
    Die fehlende Glaubwürdigkeit zehrt die Kirchen seit Jahrzehnten aus. Ihre Mitglieder treten aus, sterben weg, bleiben den Gottesdiensten fern, bedürfen kirchlicher Amtshandlungen nicht unbedingt, und die noch vorhandenen religiösen Gefühlchen individualistischer Minderheiten lassen sich auf der Esoterikmesse ebenso befriedigen, wobei der moderne Sinnkonsument gerne auch das eine oder andere christliche Großereignis – Kirchentage, Papstbesuche – mitnimmt.
    Gibt es eine moderne Antwort auf die altmodische Frage?
    Martin Luther hatte vor einem halben Jahrtausend gefordert, die Bibel, das reine ursprüngliche Wort Gottes, solle als die alleinige christliche Wahrheit gelten, und nicht jener babylonische Turm, den die Konzile, Kirchenlehrer und Dogmatiker im Lauf von anderthalb Jahrtausenden darauf errichtet hatten. Und selbst der Kanon als Ganzes sei nicht sakrosankt, sondern für den Christen nur dort verbindlich, wo er sich wirklich im Einklang mit Jesus befinde. «Was Christum nicht lehret, das ist nicht apostolisch, wenn’s gleich Petrus oder Paulus lehret; umgekehrt was Christum predigt, das ist apostolisch, wenn’s gleich Judas, Hannas, Pilatus und Herodes täte.»  29
    Heute wissen wir dank der Forschung protestantischer Theologie: «Was Christum lehret» ist gar nicht so einfach zu erkennen, wie Luther glaubte. Die Bibel ist nicht als fertiges Buch vom Himmel gefallen, und ihre Sätze sind auch nicht durch göttliche Inspiration den Verfassern in die Feder diktiert worden.
    Das Gotteswort, das uns in Form alter Texte
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