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Das Buch Rubyn

Das Buch Rubyn

Titel: Das Buch Rubyn
Autoren: John Stephens
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waren. Kate hatte Emma auf dem Schoß und Michael sah sein dreijähriges Ich – bereits damals mit der Brille auf der Nase – am Fußende ihres Bettes sitzen. Kate erzählte ihnen, dass ihre Eltern eines Tages zurückkehren und sie dann wieder gemeinsam Weihnachten feiern würden. Michael und Emma müssten aber ganz fest daran glauben, denn nur dann würde es wahr werden. Kate war fünf Jahre alt, und Michael wusste nicht, woher sie die Kraft nahm …
    Dann war er in Richmond, Virginia. Das Waisenhaus in Boston war abgebrannt. Ihre Eltern waren immer noch nicht zurückgekehrt. Das Waisenhaus in Richmond war in einer alten Tabakfabrik am Ufer des James River untergebracht. Es war Sommer und Kate hatte ihre Geschwister mit zum Schwimmen genommen. Sie planschten in dem kleinen Teich, sprangen von den Felsen ins Wasser und spritzten sich gegenseitig nass. Michael fühlte Kates Freude darüber, dass er und Emma so fröhlich und sorglos waren.
    Dann waren sie in einem anderen Waisenhaus, das sich neben einer Privatschule befand. Kate schlich in die Bibliothek der Schule und lieh Bücher aus, die sie ihren Geschwistern vorlas.
    Und er war bei ihr, als sie sich immer wieder den Leitern der diversen Waisenhäuser entgegenstellte, die versuchten, die Geschwister voneinander zu trennen; er blieb bei ihr, als sie die halbe Nacht vor seinem oder Emmas Geburtstag wach blieb und letzte Hand an die Geschenke legte, für die sie monatelang ihr Taschengeld gespart hatte. Michael erkannte die unzähligen Kleinigkeiten, mit denen sie versuchte, sein Leben und das seiner kleinen Schwester schöner und glücklicher zu machen; das meiste davon hatte er ihr niemals gedankt, sondern als selbstverständlich betrachtet. Und während sie von einem Waisenhaus zum nächsten gereicht wurden, fühlte Michael, wie Kates Liebe für ihre Geschwister stark und unerschütterlich blieb, wie am ersten Tag. Er begriff, dass diese Liebe unendlich war. Als er seine Hand von dem Buch wegzog, war sein Blick verschleiert vor Tränen. Der Körper seiner Schwester wurde durchscheinend und blass, bis er schließlich völlig verschwand.
    Er stand da und atmete zitternd ein und aus. Er fühlte sich leer und gleichzeitig übervoll. Die Dunkelheit des grässlichen Magnus war von ihm gewichen. Seine Schwester hatte ihm neue Kraft gegeben. Mehr als das: sie war seine Kraft.
    Der Turm schwankte und bebte. Nebel umwaberte seine Füße, und Michael wusste, dass es höchste Zeit war. Er klappte das Buch zu, rannte zur Falltür und stieg die Treppe hinunter, so schnell er konnte. Als er die letzte Stufe erreicht hatte, hörte er ein Krachen und Splittern von oben. Eine der Glocken hatte sich aus der Verankerung gerissen und stürzte in die Tiefe. Er schaute nicht nach oben, sondern rannte einfach weiter und war bereits im Kirchenschiff, als ein ohrenbetäubendes Krachen ertönte und der Boden unter seinen Füßen erzitterte. Die Kirche fiel auseinander, die Wände und alles ringsum lösten sich auf und dahinter war das Nichts. Die Tür zum Tunnel war noch da. Er sprintete darauf zu, während sich der Boden unter seinen Füßen in Nebel verwandelte.
    Michael taumelte aus der Felsspalte und fiel auf die Knie, sog tief die kühle, saubere Luft ein. Er war durch den dunklen Tunnel gestolpert und hatte auf dem unebenen Boden immer wieder das Gleichgewicht verloren. Endlich hatte er Licht vor sich gesehen und war darauf zugesteuert. Er wusste, was es war – wer es war. Jetzt überzog der goldene Schimmer alles. Die Elfenprinzessin beugte sich über ihn und hüllte ihn in ihre glänzenden Haare ein.
    »Geht es dir gut? Bist du verletzt?«
    Michael fühlte ihre Hand in seinem Nacken, und er spürte, dass noch andere Elfen in der Nähe waren. Langsam und mit zitternden Beinen stand er auf.
    »Es geht mir gut«, versicherte er ihr, aber die Hand, mit der er seine Brille zurechtrückte, zitterte.
    »Hast du deine Schwester gesehen? Konntest du sie zurückbringen? Wo ist der Griffel? Was ist geschehen? Rede mit mir!«
    Michael schaute hinunter zu dem Buch, dessen Rücken er umklammerte. Ja, der Griffel war weg, aber das Band zwischen ihm und dem Buch war so stark wie nie zuvor. Die Chronik des Lebens war jetzt ein Teil von ihm. Er blickte die Elfenprinzessin an.
    »Ich muss zu ihr.«
    Wieder liefen Michael und die Elfenprinzessin Hand in Hand durch den Wald. Als sie die Kolonie der Elfen erreichten, sahen sie, wie sich Lichter zwischen den Bäumen bewegten. Die Prinzessin führte
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