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Das Buch Rubyn

Das Buch Rubyn

Titel: Das Buch Rubyn
Autoren: John Stephens
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vermochte es nicht aufzuhalten; es gab nichts, woran er sich festhalten konnte.
    Die Jahrhunderte vergingen. Die Welt veränderte sich. Michael starb und wurde wiedergeboren, starb und wurde wiedergeboren. Die Bücher fand er nicht, aber er häufte Macht an, und mit der Macht kamen die Anhänger. Und mit jedem Jahr, das verging, wurde die Erinnerung an die Frau und das Kind, die Familie, die der Mann verloren hatte, schwächer und verschwommener.
    Er war ein anderer Mann, diesmal groß gewachsen und blond, aber immer mit diesen grünen Augen; er trug in sich viele Leben und viele Tode, und er hörte die Prophezeiung, dass drei Kinder die Bücher finden und zusammenbringen würden. Drei Kinder, die geopfert werden müssten, damit eine neue Welt entstehen konnte.
    Und noch mehr Tode, noch mehr Leben. Michael verspürte eine wachsende Anspannung in dem Mann, weil es so viele Leben waren, die in diesem einen Körper miteinander verbunden waren.
    Dann war Michael wieder ein alter Mann, älter als jemals zuvor. Seine Knochen waren krumm und verwachsen; sein Atem rasselnd und schwer. Er stand in einem von Kerzen erleuchteten Ballsaal, umgeben von dunklen Gestalten, die zurückwichen, um jemanden durchzulassen. Es war ein Junge, der Junge namens Rafe, und Michael sah, dass er Kate in den Armen hielt. Beim Anblick seiner Schwester erwachte ein Teil von Michael, den er vergessen geglaubt hatte, wieder zum Leben. Sie war verwundet; sie blutete und Rafe opferte sich für sie. Sein Leben für ihres. Auf dem Gesicht des Jungen lag ein gequälter Ausdruck, dann war Kate plötzlich verschwunden, und es geschah wieder: Michael starb und der Geist des grässlichen Magnus krallte sich wie ein Geschwür in die Seele des Jungen.
    Aber etwas war anders, anders als in all den Jahrtausenden zuvor. Und das Andere lag in diesem Jungen, Rafe …
    »Das reicht.«
    Jemand nahm Michael den Griffel aus der Hand. Er sank über dem Schreibtisch zusammen, keuchend und schweißgebadet. Er fühlte sich, als hätte er Gift geschluckt. Hass und Zorn strömten noch immer durch ihn hindurch. Er musste sich Mühe geben, um nicht umzufallen.
    Die grünen Augen des Jungen glitzerten. »Hat dir die Reise durch meine vielen Leben gefallen? Es war vermutlich überwältigend – im wahrsten Sinne des Wortes. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich das zu schätzen weiß, Michael. Aber bevor ich gehe …« Er packte den Griffel mit beiden Händen und brach ihn entzwei.
    »Was tust du …?«
    »Oh, ich habe durchaus die Absicht, Kate wieder zum Leben zu erwecken. Aber nicht heute. Ich muss mich erst um einiges kümmern, und hier unten kann ich sie besser im Auge behalten. Du allerdings solltest jetzt gehen. Ich würde meinen, dass du bereits viel zu lange hier bist.«
    Der Junge verblasste, wurde nebelhaft und durchscheinend. Michael sprang auf und wollte ihn packen, aber seine Hand fuhr durch den Arm des Jungen hindurch. »Warte! Bitte …!«
    »Lebwohl, Michael. Wir werden uns bald wiedersehen.«
    Die zwei Hälften des Griffels fielen klappernd zu Boden und Michael war allein. Er langte nach den beiden Teilen, aber der Turm erzitterte, und eine Hälfte rollte weg und fiel in den Spalt zwischen zwei Bodenbrettern. Michael ließ den anderen Teil aus der Hand gleiten. Es war hoffnungslos. Er schaute auf und sah, dass noch mehr Nebel heranwaberte und die Kirche einhüllte. Er hatte versagt. Schlimmer noch: Er hatte alles verdorben. Und wie sollte er Kate jetzt ins Leben zurückbringen? Was sollte er Dr. Pym sagen? Und was Emma? Er wandte sich dem Schreibtisch zu und nahm Kates Hand. Sie war kalt.
    »Es tut mir leid«, flüsterte er. »Ich hab’s versucht. Ich hab’s wirklich versucht.«
    Michael fühlte, wie etwas Dunkles in ihm aufstieg, und seine Verzweiflung wandelte sich in Wut. Das war nicht fair! So war das nicht geplant! Es hätte nicht passieren dürfen! Nicht Kate! Nicht ihm! Es war Dr. Pyms Schuld! Es war die Schuld seiner Eltern! Sie sollten jetzt hier sein, nicht er! Er wünschte, sie wären tot …
    Eine Stimme sprach in seinem Kopf: Das Buch wird dich verändern. Vergiss nie, wer du bist …
    »Das … bin ich nicht«, sagte Michael laut. »Das ist der grässliche Magnus. Nicht ich.«
    Er schaute seiner Schwester ins Gesicht, konzentrierte sich ganz auf sie, und er fühlte, wie sich der Zorn und die Dunkelheit in ihm zurückzogen. Beides war noch da, tief in ihm drin, dort, wo auch alle anderen Erinnerungen waren – die von Emma, dem Wächter und
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