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Das Buch Rubyn

Das Buch Rubyn

Titel: Das Buch Rubyn
Autoren: John Stephens
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bedeckt. Hast du dich niemals gefragt, warum wir uns ausgerechnet in einer Eiswüste ansiedelten?«
    Michael wollte schon sagen, dass niemand wüsste, warum Elfen dies taten und jenes nicht, besann sich aber eines Besseren. »Doch, schon«, sagte er.
    »Wir kamen hierher«, sagte Wilamena, »weil unsere Art sich von Orten angezogen fühlt, wo die sterbliche Welt und die Welt der Geister einander überschneiden. Stell dir die beiden Welten wie zwei Kreise vor, die sich an den Rändern berühren. Dort gibt es einen kleinen Raum, der sowohl zu der einen wie auch zu der anderen Welt gehört.« Damit nickte sie zu der Felsspalte.
    »Du meinst«, sagte Michael langsam, »dass diese Höhle ins Land der Toten führt?«
    »Ja und nein. Das wahre Land der Toten ist ein Ort, an den die Sterblichen nicht gelangen können. Die Höhle führt in jene Zwischenwelt, wo sich die beiden Kreise berühren. Und dort können die Toten zu uns kommen. Hast du es nicht gespürt, als du das Tal betreten hast? Eine Präsenz, die man nicht erklären kann?«
    Und Michael erinnerte sich, dass er tatsächlich etwas gefühlt hatte, als er mit Gabriel und Emma in das Tal gekommen war – er hatte den Eindruck gehabt, dass sie nicht allein wären, dass ihnen jemand über die Schulter blicken würde, hatte dieses Gefühl aber als bloße Einbildung abgetan.
    Er sah zu, wie ein weiterer Elf seine Kerze auslöschte und durch den Spalt trat.
    »Was tun sie da?«
    »Sie verabschieden sich von jenen, die in der Schlacht gefallen sind. Niemand kann lange an diesem Ort bleiben, aber die Zeit reicht aus, um die Dinge zu sagen, die man im Leben nicht mehr vorbringen konnte. Dann wird ein jeder in seine eigene Welt zurückkehren – die Lebenden zu den Lebenden, die Toten zu den Toten.«
    Michael schaute die Elfenprinzessin an. »Ich hätte versuchen sollen, sie zurückzubringen. Die Elfen, die gefallen sind, meine ich. Ich hätte die Chronik des Lebens benutzen sollen. Ich habe nicht daran gedacht. Es tut mir so leid.«
    Wilamena schüttelte den Kopf. »Der Tod ist Teil der Natur. Ihre Zeit war gekommen und sie starben ehrenhaft. Bei deiner Schwester ist es anders. Ihre Reise in der Welt der Lebenden ist noch nicht zu Ende.« Sie schaute zu der Felsspalte. »Und wenn der Feind nicht erlaubt, dass sie zu dir kommt, dann musst du zu ihr gehen.«
    Michael begriff. Er schluckte und packte das Buch Rubyn fester. »Weiß Dr. Pym hierüber Bescheid?«
    »Er kennt diesen Ort, aber er weiß nicht, dass ich dich hierher gebracht habe. Während der Beratung mit meinem Vater und dem Weisen Rat der Elfen hat er sich ausdrücklich dagegen ausgesprochen, dass man dich in den Nimbus schickt.«
    »In den Nimbus?«
    »So nennen wir diesen Ort, wo sich die Welten überschneiden. Der Zauberer weiß, dass du allein dorthin gehen musst und er keine Möglichkeit hätte, dich dort zu beschützen. Er sucht nach einem sichereren Weg, um deine Schwester zu befreien, aber einen solchen Weg gibt es nicht.«
    »Warum muss ich es allein machen? Was ist mit den Elfen, die schon drinnen sind?«
    »Du wirst sie nicht sehen. Selbst wenn du und ich nebeneinander eintreten würden, wären wir getrennt, sobald wir die Schwelle überschreiten. Du findest dich vielleicht in einer Stadt wieder, während ich auf einem weiten, leeren Feld stehe. Der Nimbus hält für jeden von uns etwas anderes bereit.«
    Michael merkte, dass die Sache immer verwirrender wurde, je mehr Wilamena darüber erzählte. Aber eigentlich wollte er nur eins wissen: »Wie kann ich Kate finden?«
    »Du musst nur an sie denken und dann wird sie zu dir kommen. Aber sei gewarnt: Es gab schon welche, die zu lange geblieben sind und den Weg zurück nicht mehr wiederfanden. Du musst dich beeilen, Michael.«
    »Es ist das erste Mal, dass du mich bei meinem Namen genannt hast.«
    Wilamena lächelte. »Nun, ich glaube, du bist längst kein Häschen mehr.«
    Michael schaute sie an, und die Erinnerung an diesen kurzen Moment, in dem er ihr Leben geteilt hatte, kehrte wieder. Er dachte an die Verzweiflung und die Trauer während der langen Jahre als Gefangene im Körper eines Drachen, aber er erinnerte sich auch an die tiefe, nie versiegende Freude, die sie für die Welt und alles Lebendige empfand. Er war überzeugt, dass Wilamena all das, was sie erlitten hatte, mit Freuden noch einmal durchleben würde, bevor sie einen einzigen Tag ihres Lebens aufgab.
    Sie tat, worum ihn sein Vater gebeten hatte. Sie hatte das Leben gewählt, im Guten wie
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