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Das Buch Rubyn

Das Buch Rubyn

Titel: Das Buch Rubyn
Autoren: John Stephens
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dass es schon zu Ende ging. Es gab so vieles, was er fragen und sagen wollte. Doch dann wurde ihm klar, dass alles, was er dem Geist sagte, mit ihm ins Nichts verschwinden würde. Es wäre, als würde man dem Wind etwas zuflüstern.
    »Ich habe Alles über Zwerge verloren.«
    »Was?«
    »Das Handbuch. Das Handbuch über Zwerge, das du mir in der Nacht, in der Dr. Pym uns mitgenommen hat, geschenkt hast. Ich hatte es die ganze Zeit bei mir. Ich wollte es dir zurückgeben. Aber ich habe es verloren. Es tut mir leid.«
    »Ach mein Junge, das macht doch nichts. Ganz ehrlich.«
    Michael schüttelte den Kopf. Er wusste, dass er die Worte, die er eigentlich sagen wollte, hinauszögerte. Dann holte er tief Atem.
    »Ich habe Kate und Emma … verraten.« Die Worte waren bleischwer und blieben fast in seiner Kehle stecken. Er musste sie regelrecht hinausstoßen. »Letztes Jahr, in Cambridge Falls, habe ich sie an die Gräfin verraten. Sie versprach mir, sie würde dich und Mom finden. Sie hat natürlich gelogen. Und ich wusste … nun, ich wusste genau, was ich tat. Aber danach war alles so schrecklich. Es tat so weh. Ich … So etwas wollte ich nie wieder fühlen. Ich wollte nie wieder irgendetwas fühlen.«
    Er weinte leise und wischte mit der Hand über sein Gesicht, auf dem sich Tränen und Regentropfen vermischten. Die Nebelgestalt schwieg.
    »Das Buch Rubyn«, fuhr Michael fort, »lässt mich Dinge fühlen. Aber ich will das nicht! Ich kann das nicht! Niemand begreift das! Ich kann es einfach nicht.«
    Dann senkte er den Blick und packte das Buch noch fester.
    »Michael.« Zweimal musste der Geist seinen Namen wiederholen, ehe Michael aufblickte. »Dieser Spruch von König Killick, weißt du, warum ich ihn nie vergessen habe?«
    »Weil«, sagte Michael erstickt, »er gut und richtig ist?«
    »Nein. Ich habe ihn nie vergessen, weil ich selbst genauso war. Vor dir und deinen Schwestern. Vor deiner Mutter. Ich lebte einzig und allein in meinem Kopf.«
    »Und es war besser so, nicht wahr?«, sagte Michael. »Alles war viel leichter, stimmt’s?«
    »Nein! Ich meine, ja, vieles war nicht so schmerzhaft oder quälend. Aber der Sinn des Lebens besteht nicht darin, den Schmerz zu vermeiden. Der Sinn des Lebens ist, lebendig zu sein! Er bedeutet, das Gute und das Schlechte zu akzeptieren. Natürlich gibt es den Schmerz und das Leid. Aber es gibt auch Freude, Glück, Freundschaft und Liebe. Und es ist die Sache wert, glaube mir. Deine Mutter und ich haben zehn Jahre unseres Lebens verloren, aber in dieser Zeit haben wir jede Sekunde die Liebe für dich und deine Schwestern gespürt. Und das würde ich nicht gegen alles in der Welt eintauschen. Lass dich nicht von der Angst vor Gefühlen beherrschen. Wähle das Leben, mein Sohn.«
    Dann schlang sein Vater die durchsichtigen Nebelarme um ihn und Michael schloss die Augen. Es kam ihm fast so vor, als würde die Gestalt fester werden, wirklicher. Michael spürte förmlich die Brust seines Vaters an seiner Wange, hörte das Klopfen seines Herzens. Dann schlug er die Augen auf und sah, dass er die leere Luft umarmte.
    Doch plötzlich war da ein goldener Schimmer. Er drehte sich um und da stand die Elfenprinzessin. Sie trug einen Umhang und hatte die Kapuze zurückgeschlagen. Ihr Haar leuchtete in der Dunkelheit.
    »Hast du … zugeschaut?«
    Sie nickte, kein bisschen verlegen. »Ja.« Sie trat vor und nahm seine Hand. »Komm mit.«
    »Warum? Wohin bringst du mich?«
    »Ich zeige dir, wie du deine Schwester zurückbringen kannst.«

Hand in Hand rannten Michael und die Elfenprinzessin durch den Wald. Wilamena führte ihn. Die regennassen Farnwedel wichen vor der Prinzessin zur Seite, während sie Michael wiederholt ins Gesicht klatschten und ihn mit Tropfen besprühten. Er fragte nicht, wo sie ihn hinbrachte, und sie verlor kein Wort darüber. Irgendwann erreichten sie die hoch aufragende Felswand der Schlucht, vor der ein Dutzend verhüllte Gestalten mit Kerzen in den Händen standen. Er erkannte in ihnen einige der Elfen, die vorhin an der Prozession durch den Wald teilgenommen hatten. Sie sangen noch immer, aber jetzt so leise, dass Michael sich anstrengen musste, um sie zu hören. Die Gestalten hatten sich vor einer dreieckigen, mannshohen Felsspalte versammelt, und Michael sah, wie einer der Elfen seine Kerze löschte, durch die Spalte trat und verschwand.
    »Mein Volk kam vor Tausenden von Jahren in dieses Tal«, flüsterte die Prinzessin. »Damals war hier alles von Eis und Schnee
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