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Das Buch ohne Staben - Anonymus: Buch ohne Staben - The Eye of the Moon

Titel: Das Buch ohne Staben - Anonymus: Buch ohne Staben - The Eye of the Moon
Autoren: Anonymus
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in Santa Mondega. Eine davon besagt klipp und klar, dass es niemandem erlaubt ist, für längere Zeit glücklich zu sein. Ständig lauert irgendein Ungemach am Horizont. In Beths Fall war es sehr viel näher als der Horizont, auf den sie hinausstarrte.
    Nur ein paar Meter entfernt lauerte einer der unangenehmsten Vertreter aus der Welt der Untoten. Hätte sie einen Blick nach unten geworfen, sie hätte die Fingerspitzen von zwei Knochenhänden bemerkt, die sich an das Ende des Bohlenweges klammerten. Sie gehörten einem Vampir. Die Beine des Vampirs baumelten im Wasser unter ihm. Sie baumelten deswegen im Wasser, weil Flut herrschte und der Wasserstand signifikant gestiegen war, während er dort gehangen und geduldig auf ein naives Opfer gewartet hatte, das herkam, um nach draußen auf das Meer zu starren. Und dieses naive Opfer war Beth.
    Zeit zum Fressen.

Vier
    Sanchez hasste es, in die Kirche zu gehen, deswegen vermied er es, so oft er konnte. Dies hier jedoch war ein spezieller Anlass, alles, was recht war. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf hatte er seine besten Sachen aus dem Schrank geholt: ein paar Bluejeans ohne Risse und ein weißes Polohemd ohne sichtbare Flecken. Er hatte sogar Gel in sein dichtes schwarzes Haar massiert, um sich diesen Hey-Mann-was-bist-du-cool-Look zu verpassen.
    Der abendliche Anlass war dem neuen Prediger zu verdanken, der die Gemeinde kürzlich übernommen hatte und leidenschaftlich gerne neue Dinge ausprobierte. Der neueste Spleen war eine Mitternachtsmesse an Halloween, bei der es nach den Worten des Reverends einen Auftritt des größten Rock-’n’-Roll-Acts von ganz Santa Mondega geben sollte. Er hatte den Namen des Acts nicht verraten, also war Sanchez vorbereitet gekommen und hatte auf die vage Chance hin, dass es sich um irgendeinen käsigen Osmonds-Verschnitt handelte, eine braune Papiertüte mit allerlei verfaulten Früchten mitgebracht, um jeden damit zu bewerfen, dessen musikalisches Talent nicht seinen anspruchsvollen Standards genügte.
    Es bestand nicht der geringste Zweifel – die Kirche der Gesegneten Heiligen Ursula und der Elftausend Jungfrauen (La Iglesia de la Bendita Santa Úrsula y las Once Mil Vírgines) war ein prachtvolles Spektakel, innen wie außen. In einer schönen Nacht hob sich das alte Bauwerk deutlich vor dem Himmel ab; die weißen, stuckierten Mauern leuchteten im Mondschein, und die Turmspitze schien nach den Sternen zu greifen. Diese spezielle Halloween-Nacht jedoch war so dunkel, wie man es sich nur denken konnte. Gerade als die Predigt begann, öffneten sich die Schleusen der schweren Wolken, die schon den größten Teil der Nacht über der Kirche gehangen hatten, und strömender Regen ergoss sich über das Haus des Herrn.
    Selbst von seinem Platz in der zehnten Bankreihe aus konnte Sanchez noch hören, wie der Regen gegen die Bleiglasfenster hinter dem Altar prasselte, vor dem der Reverend stand und die Messe hielt. Die Reihen waren proppenvoll mit Leuten jeden Alters und aller Schichten. Gleich neben Sanchez saß der einheimische Trottel, ein zwölfjähriger Knabe namens Casper, der, wie sich die Leute erzählten, nicht ganz richtig war im Kopf. Niemand wusste, was genau mit ihm nicht stimmte, doch Sanchez hatte beobachtet, wie der arme Kerl während seiner gesamten Kindheit erbarmungslos von anderen Kindern schikaniert worden war. Es lag nicht allein daran, dass er ein wenig »bäuerlich« daherkam. Der Junge sah schon merkwürdig aus. Seine Haare zeigten ständig in mindestens acht verschiedene Richtungen, und seine Augen taten es den Haaren nach, sozusagen. Er war einer von jenen Jungen, bei deren Anblick man halb erwartete, dass es einen Blitz gab, gefolgt von einem Donnerschlag und vielleicht einer einsamen Kirchenglocke, die sonor im Hintergrund schlug. Genau das, was in dieser Nacht passierte und was Sanchez eine Scheißangst einjagte.
    Die Kirche war nicht sonderlich hell erleuchtet. An diesem besonderen Abend waren Kerzen in den großen Wandleuchtern und in den Haltern rechts und links auf dem Altar die einzigen Lichtquellen, und ihr Flackern spiegelte sich auf dem großen goldenen Kruzifix, das im Zentrum des Altars eingelassen war. (Es war genaugenommen kein Gold, sondern Messing. Was einem Edelmetall auch nur halbwegs ähnelte, hielt sich in Santa Mondega nicht lange, es sei denn, man verschraubte es im Boden und ließ es Tag und Nacht von halbwilden Pitbulls bewachen.) Der Grund für die schlechte Beleuchtung, so vermutete
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