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Das Buch der zwei Krähen. Historische Erzählung

Das Buch der zwei Krähen. Historische Erzählung

Titel: Das Buch der zwei Krähen. Historische Erzählung
Autoren: Mike Wächter
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liefern, dachte er. Ich kenne nicht einmal Eure wahren Identitäten. Er hatte keine Angst vor der Bruderschaft. Auch sie wussten nicht, wer sich hinter seiner Maske verbarg.
    Ein pochender Schmerz breitete sich in seinem Kopf aus. Was war geschehen? Die Gedanken drehten sich in seinem Schädel. Er musste an einen vertrauten Ort, um sie zu sortieren. Er trat auf die Straße und schlich von Schatten zu Schatten, dem Schein der Straßenlaternen ausweichend. Bevor er den Speisenmarkt erreichte, nahm er die Krähenmaske ab und schleuderte sie in einen Hauseingang. Darüber warf er den dunklen Mantel.
    Wie von einer schweren Last befreit, schritt er weiter. Über den menschenleeren Platz. Er verschränkte die Arme hinter dem Rücken und pfiff eine beschwingte Melodie. Wie einer, der einen harmlosen Abendspaziergang unternahm. Der Hall von Schritten aus der Gasse hinter ihm ließ ihn kurz zusammenfahren. Als er sich umdrehte, sah er nichts. Die Schritte verhallten. Er lief weiter. An der Stadtpfarrkirche vorbei ging er auf der Speyerer Gasse zwischen den Quadraten F 1 und F 2 entlang. Als er die nächste Kreuzung überquerte, hörte er wieder Schritte. Diesmal von rechts kommend. Er sah sich nicht um und beschleunigte seinen Schritt. An der Buchhandlung Löffler in E 2 vorbei erreichte er die Planken. Er durchschritt die mit Bäumen gesäumte Allee. Erst als er den Paradeplatz erreicht hatte, sah er sich um.
    Nichts. Keine Menschenseele war um diese Zeit unterwegs. Die Schritte schienen sich in eine andere Richtung bewegt zu haben. Er tupfte sich die Stirn mit einem seidenen Taschentuch und atmete erleichtert auf.
    Auf dem restlichen Weg zum Schloss, immerhin vier ganze Quadrate, begegnete ihm ebenfalls niemand. Die Leere war fast schon gespenstisch.
    Die ersten Menschen, denen er begegnete, waren zwei Männer von der Schlosswache, die ihn ohne Probleme passieren ließen. Eilig steuerte er auf die Hofbibliothek zu, die sich gleich am Anfang des Ostflügels befand. Nach den aufwühlenden Erlebnissen des Abends musste er sich Ablenkung verschaffen, ein wenig Aufmunterung. Es gab nur einen Ort, an dem er sich gänzlich entspannen konnte.
    Er steckte den Schlüssel in das Schloss und sah sich um. Als er sicher war, dass ihn niemand beobachtete, trat er ein und verschloss die Tür hinter sich. Klares Mondlicht fiel durch die Fenster in den Büchersaal und tauchte ihn in ein sanftes Dämmerlicht. Er lief in die Mitte des Saals und drehte sich um. Die Bibliothek bestand aus geschlossenen Bücherwänden an drei Seiten des Raumes, die auf drei Galeriegeschossen bis unter die Decke reichten. Der Anblick raubte einem Büchernarren wie ihm jedes Mal erneut den Atem. Seine Muskeln entspannten sich und sein Körper richtete sich auf. Erhobenen Hauptes schritt er zu einem Tisch, von dem er einen Kerzenleuchter nahm. Er entzündete die drei Kerzen. Der Schein des Leuchters lieferte einen kleinen Lichtkegel in der Halle, doch der Bibliothecarius ließ sich vom Duft der Bücher leiten. Er ging zurück zur Eingangstür und betrat von dort die geheime Treppe, die zu den oben gelegenen Balkonen führte. Im mittleren Stockwerk trat er durch den roten Samtvorhang auf die Galerie.
    Er lief bis zum Ende der Galerie, bis er fand, was er suchte. Die Snorra-Edda. Umständlich blätterte er mit einer Hand in dem Buch, den Leuchter hielt er in der anderen.
    Als Schritte aus den Räumen des Medaillenkabinetts durch die Verbindungstür in den Bibliotheksaal hallten, fiel ihm das Buch aus der Hand. Wer konnte das sein? Mitten in der Nacht kam niemand hierher. Nervös schlich er die Treppe hinab. Die Schritte wurden lauter. Auf einmal war nichts mehr zu hören.
    »Hallo?«
    Keine Reaktion.
    Vorsichtig durchschritt er die Tür zum Kabinett. Kein Mensch war zu sehen. Die Tür zum Flur stand offen, dabei hätte sie abgeschlossen sein sollen. Er trat auf den Gang und blickte um sich. Nichts.
    Er lief in den ersten Galeriesaal.
    »Hallo?«, fragte er zaghaft in die Dunkelheit.
    In einiger Entfernung vernahm er ein Rascheln. Er nahm all seinen Mut zusammen und bewegte sich vorwärts. Er betrat das Naturalienkabinett. Mit dem Leuchter voran schlängelte er sich zwischen den breiten Schaukästen durch. Ein Knacksen im Holz ließ ihn aufhorchen.
    Er drehte sich um und leuchtete unter einen der Kästen mit ausgestellten Südseemuscheln. Nichts zu sehen.
    Er richtete sich auf und hielt den Leuchter in den Raum.
    »Waah!« Jetzt schrie er auf. Eine hässliche Fratze
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