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Das Buch der zwei Krähen. Historische Erzählung

Das Buch der zwei Krähen. Historische Erzählung

Titel: Das Buch der zwei Krähen. Historische Erzählung
Autoren: Mike Wächter
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betrunken, mein Herr?« Mannlich flüsterte.
    »Betrunken? So ein Unsinn. Ich bin tot! Versteht Ihr? Tot bin ich!«
    »Wie könnt Ihr tot sein, wenn ich Euch sehr wohl lebendig vor mir sehe?«
    Mannlich war ehrlich verwirrt.
    Das Gejammer des Kurfürsten schlug um in Gelächter. Mannlich trat vorsichtig einen Schritt näher und sah den Fürsten schweigend an. Dieser wurde urplötzlich ruhig.
    »Mein Sohn ist gestorben! Und wenn er tot ist, bin nicht auch ich tot?«
    Langsam setzte der Kurfürst sich auf.
    Mannlich ließ sich neben ihm auf dem kalten Steinboden nieder. Beide schwiegen.
    Wie konnte das sein? Der Thronfolger war erst gestern zur Welt gekommen. Eine gesprächige Hofdame hatte ihm heute Mittag erzählt, das kurfürstliche Ehepaar hätte beinahe zwanzig Jahre vergeblich auf einen Nachkommen gewartet. Die Kinderlosigkeit hatte die Beziehung der ungleichen Eheleute seit jeher schwer belastet. Davon, dass es um den Zustand des Neugeborenen schlecht bestellt sei, hatte ihm die Dame nichts berichtet.
    »Die Geburt war schwer«, begann der Kurfürst in die Nacht hinaus zu erzählen. Seine Stimme klang leer. »Mit der Zange musste der Prinz geholt werden. Versteht Ihr, Mannlich? Mit einer Zange! Es ist doch klar, dass man ein kleines Geschöpf dabei verletzen kann. Mit der Zange!«
    Wieder schwiegen beide. Es war Mannlichs erste private Unterredung mit dem Kurfürsten.
    »Was soll ich jetzt machen?«, wisperte der Fürst.
    Mannlich sah, wie Carl Theodor versuchte, die Tränen in seinen Augen zurückzudrängen. Was sollte er sagen? Was konnte er, als Künstler von zweiundzwanzig Jahren, dem Kurfürsten, einem der mächtigsten Herrscher im Deutschen Reich, raten? Durch seine Neugierde hatte er sich die Bürde auferlegt, den Landesherren in diesem schwachen Moment zu sehen. Doch dann kam ihm eine Idee.
    »Mein Fürst«, sagte er bedächtig. »Habt Ihr heute schon zu den Sternen geblickt? Es ist eine klare Nacht.«
    Der Kurfürst sah ihn verwundert an. Ein sanftes Lächeln huschte über sein Gesicht. Dann trocknete er seine Tränen.
    »Kommt, mein Herr. Ich begleite Euch zum Observatorium.«
    Mannlich stand auf. Er half seinem Herrscher auf die Beine.
     
    Zur selben Zeit betraten drei Männer den Schlosspark durch den südlichen Eingang. Sie trugen schwarze Umhänge. Ihre Gesichter wurden von Karnevalsmasken bedeckt, ebenfalls in schwarz. Liebevolle Nachbildungen von Krähengesichtern. Wie Schatten stahlen sie sich durch die Dunkelheit in Richtung Sternwarte.
    »Parbleu! Da ist niemand«, sagte der erste, als sie vor dem Steinblock mit den astronomischen Instrumenten standen.
    »Zu schade. Ich hätte schwören können, dass wir den Kurfürsten hier antreffen«, sagte der zweite.
    »Seht! Dort drüben«, bemerkte der dritte und zeigte zu der Baustelle des Apollotempels. »Ich glaube, da hat sich etwas bewegt.«
    Sie schlichen weiter. Kurz vor der Tempelanlage verschwanden sie hinter einer Hecke und beobachteten den Tempel.
    »Da oben, das ist der Kurfürst.«
    »Gut, dass der Mond so hell scheint, sonst würde man nichts sehen.«
    Der Fürst wurde von einem Mann gestützt und die Stufen hinabgeführt.
    »Dumm, dass er nicht alleine ist. Hattest du nicht gesagt, dass er ohne Begleitung in den Park geht?«
    »Weil er sich mit der Anwesenheit von anderen Menschen schwer tut.«
    »Sollen wir ihn trotzdem in unsere Gewalt bringen? Mit zweien werden wir ebenso fertig.«
    »Dennoch sollten wir einen anderen Zeitpunkt abwarten. Ich möchte keinen Unschuldigen hineinziehen.«
    »Ich glaube, das ist einer von diesen jungen Malern. Wie hieß er gleich?«
    »Von Mannlich.«
    »Ja genau, Mannlich! Wir sollten ein Auge auf ihn haben. Was hat er mit dem Kurfürsten zu schaffen?«
    »Wir werden es herausfinden.«
    »Ziehen wir uns für heute zurück. Unsere Zeit wird kommen.«
    Die Stimmen verstummten. Mannlich und der Kurfürst liefen an dem Gebüsch vorbei zum Observatorium. Die Anwesenheit der Beobachter bemerkten sie nicht. Als die beiden außer Sichtweite waren, kamen die drei Maskierten aus ihrem Versteck und verschwanden in der Nacht.
    Die Krähen waren ausgeflogen.

Zweites Kapitel
     
    5. August 1761
    Vor den Toren Mannheims
    Krähen kreisten um den kalten Körper. Der Neckar versank im blauen Licht der Abenddämmerung.
    Der Bibliotheksassistent blieb an der Kreuzung stehen, dort, wo die Wege von Feudenheim und von Käfertal zusammenliefen. Schon zur Mittagszeit, als er sich zu Fuß auf den Weg gemacht hatte seinen Vater in
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