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Das Buch der zwei Krähen. Historische Erzählung

Das Buch der zwei Krähen. Historische Erzählung

Titel: Das Buch der zwei Krähen. Historische Erzählung
Autoren: Mike Wächter
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Wahrscheinlich hörte er ihm gar nicht zu.
    »Ich habe dir gesagt, dass es ein Fehler ist, hierherzukommen.«
    »Nein. Ich muss nur ihr Vertrauen gewinnen. Dann haben wir nichts zu befürchten. Du wirst sehen.«
    »Und erst dieses aufmüpfige Biest von einer Tochter!«
    »Ich finde sie interessant«, sagte William.
    »Natürlich. Und in Kürze können wir uns auf ein neues Lustspiel mit einer widerspenstigen Braut freuen? William, das ist das echte Leben. Kein Spiel. Hol dir die Inspiration für dein nächstes Werk anderswo. Ich bitte dich!«
    »Warum bist du aufgebracht? Ich habe alles unter Kontrolle.«
    Da war sich Henry nicht sicher. Er stand jetzt hinter William. Sprach in seinen Nacken.
    »Mir gefällt auch nicht, wie du sie ansiehst.«
    »Wen meinst du? Anne?«
    Genau die, dachte Henry. Bis vor ihrer Abreise hatte William nie ein Wort über diese Frau verloren. Anne war älter als William, bestimmt schon Anfang Fünfzig. Henry musste aber zugeben, dass Anne außergewöhnlich gut aussah. Andere Frauen ihres Alters waren nach lebenslanger Arbeit auf dem Feld und im Haushalt meist nur noch zerfurchte Erinnerungsfetzen ihrer selbst. Anne hingegen war eine gereifte Frau. Ihre Haut hatte kaum Falten, ihr Körper war wohlgerundet, aber nicht füllig und ihre Haare waren beinahe immer noch komplett schwarz, nicht grau.
    »Sie ist meine Frau«, sagte William trotzig.
    »Du siehst doch, dass du ihr gleichgültig bist.«
    William erwiderte nichts.
    »Anne wird niemals den Verdacht hegen, dass ich nicht wegen ihr zurückgekehrt bin, solange ich ihr Aufmerksamkeit schenke«, sagte er.
    »Aber nur, wenn du damit Erfolg hast, ihr Vertrauen zu gewinnen.«
    »Wir werden sehen.«
     
     
    3.
     
    Das Opfer rannte um sein Leben. Wo es hinsah, freies Feld, kein winziger Busch zum Verstecken. Die einzige Hoffnung war Flucht, den Vorsprung ausbauen.
    Der Verfolger trat zwischen den Bäumen hervor. Wolken hatten sich vor den Mond geschoben, ließen nur vereinzelte Strahlen hindurch. Der Körper des Jägers war nicht viel mehr als ein schwarzer Schatten. Ruhig griff er zu den Pfeilen in seinem Köcher. Der erste Schuss war absichtlich vorbeigegangen.
    Nun legte er erneut an, wartete. Das Opfer rannte schnell. Er musste sich konzentrieren. Würde er diesmal danebenschießen, würde die Beute entkommen.
    Die Stille zersprang mit einem schrillen Pfiff, als die Sehne des Bogens zurückfederte. Der Pfeil durchschnitt die Luft. Mit bloßem Auge konnte man ihm nicht folgen.
    Das Opfer bemerkte ihn erst spät. Zu spät. Es wollte noch abdrehen, nach rechts ausbrechen, den Körper in Sicherheit bringen.
    Da brach die Spitze des Geschosses durch seine Haut. Ein kurzes Klatschen. Das Opfer stürzte. Überschlug sich. Schob sich mit den Beinen weiter. Dann erstarb seine Gegenwehr. Stille. Das weiße Fell färbte sich dunkelrot.
     
    Jacopo Alberti trat aus seinem Versteck, zwischen dem Geäst des Waldes, und ging zurück zu dem Pferdewagen, den sie am Rand der Landstraße zurückgelassen hatten. Die Aussicht auf ein anständiges Hasenmahl erfüllte ihn mit Verzückung. Ein Gefühl, das jeder Nicht-Engländer verstehen konnte, der gezwungen war, sich auf dieser Insel längere Zeit am Stück aufzuhalten. Die Einheimischen hatten keine Ahnung, wie man Speisen zubereitete. Alle Geschmäcker übertünchten sie mit einer Vielzahl von Gewürzen, die nicht zueinanderpassten. In Italien wussten die Menschen, wie man wohlüberlegt mit Zutaten umging.
    Wenn sie in Stratford waren, würde er den Hasen in einer Handvoll Oregano anbraten. Dazu eine Prise Salz. Mehr nicht.
    Tèmoc kam zu ihm. Übergab die Leiche. Alberti verstaute das tote Tier unter den Handelswaren auf dem Fuhrwerk.
    Es war gefährlich, in England aus einer Laune heraus in den Wald zu spazieren und zu jagen. Wilderei nannten sie es. Darauf standen hohe Strafen. Und wer bei Nacht wilderte – wie sie jetzt – wurde hingerichtet.
    Es war ein riskantes Vergnügen, aber auch ein gutes Training für den Indio, dessen Fähigkeiten sonst ungenutzt blieben. Es lag in seiner Natur, auf die Jagd zu gehen. Und für Alberti sorgte es für eine willkommene Abwechslung auf dem Speiseplan.
    Sollten Bauern seinen Begleiter bei Nacht durch den Wald schleichen sehen, mit seiner steinernen Kriegsmaske auf dem Gesicht und dem Fell um die Schultern, würden sie ihn für ein Monster halten. Halb Mensch, halb Tier. Einen Waldgeist vielleicht.
    Alberti lachte. So war es auch in Mexiko gewesen. Als die Spanier auf
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