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Das Buch der zwei Krähen. Historische Erzählung

Das Buch der zwei Krähen. Historische Erzählung

Titel: Das Buch der zwei Krähen. Historische Erzählung
Autoren: Mike Wächter
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und stieß Harris zur Seite.
    »Maledetto stronzo, vai a farti fottere! Tu aspetta, t'ammazzo porco!«
    Harris verstand kein Wort von dem, was der Ausländer sagte.
    »Warum regst du dich so auf?«, sagte der Kapitän.
    Was war in den Italiener gefahren?
    »Auf meinem Schiff musst du dich benehmen!«
    War es wegen Shakespeare? Hatte der Italiener einen Hass auf den Dichter. Aber wieso?
    »William Shakespeare ist ein bedeutender Autor. Einer der großen Söhne Englands!«
    Der Kapitän drehte sich ein Stück nach rechts, als er im Augenwinkel sah, dass der Italiener an seinen Stiefel griff und etwas herauszog. Gerade als er wieder Augenkontakt aufnehmen wollte, machte der Italiener einen Schritt auf ihn zu, rammte ihn und drückte Harris an die Schiffswand. Mit der Beuge des linken Arms presste der Italiener gegen seinen Hals und fixierte ihn. Ein unruhiges Gemurmel entstand unter den Männern im Deck. Anscheinend waren sie so eingeschüchtert, dass niemand den Mut aufbrachte, etwas zu unternehmen.
    Dann spürte Harris den kalten Stahl, der gegen seinen Kehlkopf drückte. Es musste eines von diesen Stiletten sein. Spitze kurze Dolche, die in Italien in den letzten Jahren in Mode gekommen waren. Sie ließen sich leicht zwischen der Kleidung verstecken. Diese verdammten Dinger waren so schmal, dass sich die Klinge durch die Ringe eines Kettenhemdes bohren konnte.
    Harris senkte seinen Blick vorsichtig und konnte sehen, dass er mit seiner Vermutung richtig lag. Die Parierstange des Stiletts war etwa eine Elle lang. Dadurch eignete sie sich bestens, tief in den Körper eines Menschen einzudringen und fürchterliche Verletzungen beizubringen, an denen man langsam krepierte.
    Doch wenn der Italiener ihn wirklich aufschlitzen wollte, würde er die Klinge nicht an seinen Hals legen, sondern in seinen Bauch bohren.
    Harris atmete laut hörbar ein und aus. Er starrte dem Italiener direkt in die Augen, unfähig den Blick von ihm zu nehmen.
    Jetzt richtete sich der Wilde auf. Ohne ein Wort zu sagen, packte er seinen Herrn an den Schultern und zog ihn weg. Der kalte Stahl entfernte sich langsam von der Haut des Kapitäns, und Harris spürte, wie sein Kehlkopf sich wieder aufrichtete.
    »T'ammazzo porco!«, rief der Italiener. Und dann auf Englisch, ohne Harris oder einen der Männer direkt anzusehen: »Ich bring ihn um, die Sau!«
    Nun hatte auch Harris Angst vor ihm.
     
     
    1.
    STRATFORD-UPON-AVON, IM FRÜHJAHR 1610
     
    Die Sonne neigte sich über den Hausdächern im Westen. Die Temperatur sank spürbar. Bald würde Nebel aufziehen wie an den vorangegangenen Abenden. Für heute musste sie ihre Arbeit beenden.
    Anne legte den Hammer zur Seite, wischte sich den Schweiß mit dem Handrücken von der Stirn. Mit jedem Muskel ihres Körpers spürte sie, dass sie lebte. Den Garten verließ sie und trat, ohne ihre Arbeitskleidung abzulegen, auf die Straße. Schnell würde sie die Bestellung beim Krämerladen abholen und morgen in aller Frühe mit den Ausbesserungsarbeiten fortfahren.
    Sie brauchte nicht weit zu gehen. Mercias Geschäft lag zwei Gassen entfernt in der Bridge Street. Stratford war ein beschauliches Städtchen, etwas mehr als tausend Einwohner. In jüngeren Jahren hatte Anne davon geträumt, wie es wäre, in einer Großstadt wie London zu leben. Sie hatte gar Pläne geschmiedet. Doch dieser Wunsch war ihr verwehrt geblieben. Mittlerweile spürte sie keine Wehmut mehr, wenn sie darüber nachdachte.
    Der Laden befand sich im Erdgeschoss eines schmalen Fachwerkhauses. In dem kleinen Verkaufsraum wurde ein umfangreiches Sortiment dargeboten. In der Auslage fanden sich Gebrauchsgegenstände für die Stratforder Hausfrauen — Garn, Nadeln, Spindeln. Außerdem Spiegel und Kämme, Taschen und Beutel und allerlei Kleinkram. Abgerundet wurde das Angebot von einer Auswahl an Gewürzen und Arzneien. Es war ein Rätsel für Anne, wie Mercia es schaffte, all diese Waren auf der begrenzten Fläche zu verstauen, ohne den Überblick zu verlieren.
    Was sie heute benötigte, war nicht vorrätig gewesen. Wenn Anne besondere Wünsche hatte, nahm Mercia Bestellungen auf und beschaffte die Ware. Über die Jahre hatte sich eine Freundschaft zwischen den beiden entwickelt.
    Als Anne an diesem Abend den Krämerladen betrat, saß Mercia auf einem Stuhl in der Ecke, in der Hand einen Spiegel und betrachtete ihre Frisur. Neben ihr stand Beatrice, mit einem gefüllten Korb voller Lebensmittel im Arm.
    »Anne! Dich habe ich seit Ewigkeiten nicht
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