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Das Buch der zwei Krähen. Historische Erzählung

Das Buch der zwei Krähen. Historische Erzählung

Titel: Das Buch der zwei Krähen. Historische Erzählung
Autoren: Mike Wächter
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sie bereits zweimal austauschen müssen. Diesmal hatte sie sich entschlossen, alle Streben durch Birkenbretter auszutauschen, die auch im Hausbau benutzt wurden. Die alten Flechten hatte sie gestern entfernt. Nun musste sie die neuen Stangen zwischen die Pfähle legen und befestigen.
    Anne nahm sich ihren Hammer und ging in die Knie. Sie begann, das erste Brett in die vorgesehene Aushöhlung im Holzpfahl zu klopfen.
    »Da bist du!«
    Anne schnaufte. Musste das sein? Sie klopfte weiter.
    »Wolltest du mein Frühstück denn gar nicht probieren?«
    Anne ließ das Werkzeug absinken.
    »Einen Mann, der kochen kann, hätte ich gebrauchen können, als die Kinder klein waren.«
    Wieder holte sie aus und drosch auf das Holz.
    »Es tut mir leid. Ich weiß, dass du mir nicht einfach verzeihen kannst. Das verstehe ich.«
    Anne schlug fester zu. Vielleicht würde sie ihn übertönen können.
    »Es war nicht einfach in London für mich. Der Erfolg kam nicht über Nacht. In den ersten Jahren war ich froh, wenn ich genug zu essen hatte. Eine Reise nach Stratford hätte ich mir nie leisten können. Und dann – ja, was soll ich sagen.«
    Er stöhnte auf.
    »Das muss nach einer schlechten Rechtfertigung klingen für dich. Nicht wahr?«
    Er stand nun genau hinter ihr. Anne konnte seinen heißen Atem in ihrem Nacken spüren. Auf einmal packte er mit beiden Händen das Brett. Anne schlug einen halben Fingerbreit neben seinen Daumen.
    »Bist du verrückt?«
    »Ich will dir helfen. Das ist keine Arbeit für eine Frau.«
    »Wir leben in einem Staat, in dem die Regierungsgeschäfte über 40 Jahre erfolgreich von einer Frau geführt wurden. Da ist es wohl nicht zu viel verlangt, wenn eine andere Frau einen einfachen Gartenzaun repariert!«
    »Natürlich nicht«, sagte William.
    Im selben Moment griff er zum Hammer und riss ihn aus ihrer Hand.
    »Ich mache das.«
    Anne erhob sich und stellte sich hinter ihn. Genervt blickte sie auf ihn herab. William setzte ein paar ungelenke Hiebe an. Seine feinen Künstlerhände waren die körperliche Arbeit nicht gewohnt. Dann brachte er zu Ende, was Anne zuvor noch verhindert hatte: Er schlug sich mit Wucht auf den linken Daumen.
    Mühsam verkniff er sich aufzuschreien. Anne konnte die Anstrengung sehen, als er sich auf die Zunge biss und den Schrei herunterschluckte. Der Hammer und das Brett fielen zu Boden. Der Eisenkolben traf auf das Holz, das umgehend in der Mitte der Latte aufsprang.
    Langsam stand William auf.
    »Immerhin. Ich habe es geschafft, dass du lächelst.«
    Er presste seine Worte mühsam hervor.
    Dieser Kerl war verrückt. Er nahm es noch als Kompliment, wenn sie ihn auslachte. Anne stemmte die Hände in die Hüften und bemühte sich, ernst zu blicken.
    »Hoffen wir, du hast etwas gelernt.«
    Anne ging zu dem Brett und besah sich den Schaden.
    »Mach dir nichts daraus«, sagte William. »Ich engagiere einen Handwerker, der wird sich um alles kümmern.«
    Anne wusste nicht, was sie darauf entgegnen sollte. Sie spürte einen heißen Stich in ihrem Magen. War das Wut, die unwillkürlich über ihr hereinbrach? Als ehrwürdige Gattin musste sie ihren Zorn herunterschlucken. Sie wollte William keine Inspiration für sein nächstes Werk liefern. Die Zähmung der widerspenstigen Ehefrau .
    »Du bist einen halben Tag hier und willst bereits unseren gesamten Tagesablauf durcheinanderbringen?«, sagte Anne. Sie gab sich Mühe einen neutralen Klang in ihre Stimme zu legen. »Solche Arbeiten verrichte ich gewöhnlich selbst.«
    Er zuckte mit den Achseln. Sie atmete tief durch und ging ins Haus. Hoffentlich kam er nicht auf die Idee, ihr zu folgen. In der Tür zum Arbeitszimmer drehte sie sich um und sah, dass William immer noch am Gatter stand. Besser so. Anne betrat das Anwesen.
    Der Zaun blieb beschädigt zurück.
     
    * * *
     
    Er war auf dem Weg in seine Kammer, als Anne den Flur im Erdgeschoss betrat. Ohne ihn zu beachten, schob sie sich mit schnellen Schritten an ihm vorbei und verschwand in dem Zimmer am Ende des Ganges. Etwas musste vorgefallen sein. Anne war noch schlechter gelaunt, als sie es bisher gewesen war. Das gefiel ihm nicht.
    Henry drehte sich um und lief zur Gartentür. William stand zwischen den Gemüsebeeten und stocherte mit einem Ast in der Erde.
    »Mir gefällt das nicht«, sagte er, als er auf William zuschritt.
    »Was denn?«
    William sah nicht zu ihm auf.
    »Das mit Anne. Sie ist ein Unsicherheitsfaktor.«
    »Ich weiß«, erwiderte William.
    Er wirkte abwesend.
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