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Das brennende Gewand

Das brennende Gewand

Titel: Das brennende Gewand
Autoren: Andrea Schacht
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versiegelter Born. Du bist gewachsen wie ein Lustgarten von Granatäpfeln mit edlen Früchten, Zyperblumen mit Narden, Narde und Safran, Kalmus und Zimt, mit allerlei Weihrauchsträuchern, Myrrhe und Aloe, mit allen feinen Gewürzen. Ein Gartenbrunnen bist du, ein Born lebendigen Wassers, das vom Libanon fließt. Tu mir auf, liebe Freundin, meine Schwester, meine Taube, meine Reine!‹«
    Er erkannte das Staunen in ihrem Gesicht, das Begreifen der uralten, ewigen Verse der Liebe und der Lust. Zwar spürte sie noch keine Hingabe in ihrem Leib, doch leise, aber mutig antwortete sie ihm: »›Mein Freund komme in seinen Garten und esse von seinen edlen Früchten.‹«
    Sie erwartete, dass er sogleich zwischen ihre Beine kommen würde und sich auf sie legte, doch er blieb an ihrer Seite und berührte nur sanft mit seinen Fingern ihre Lippen. Im Dämmerlicht blickte sie ihn an und sah ihn lächeln.
    »Ich habe im vergangenen Jahr zweimal mein Leben in Eure Hand gegeben. Ihr habt es gerettet, geschützt und die Wunden geheilt. Ihr habt im Gegenzug mir Eure Seele das eine oder andere Mal anvertraut. Ist es unbillig, wenn ich Euch nun bitte, mir auch Euren Leib anzuvertrauen?«
    »Ich liege doch bei Euch.«
    »Ihr liegt bei mir und erwartet Schmerz und Demütigung. Es spricht für Euren Mut, doch nicht für Euer Vertrauen.«
    »Ich werde tun, was Ihr wünscht und danke Euch für Eure Sanftheit.«
    »Nein, meine Taube. Ich werde tun, was Ihr wünscht.«
    Und wieder beugte er sich über sie und ließ seine Lippen über ihre Wangen gleiten. Er küsste die Beuge ihres Halses und die zarte Haut hinter ihren Ohren, und sein Mund wanderte tiefer. Seine Hände streichelten über ihren Körper, und leise murmelte er: »›Die Rundung deiner Hüfte ist wie ein Halsgeschmeide, das des Meisters Hand gemacht hat. Dein Schoß ist wie ein runder Becher, dem nimmer Getränk mangelt. Dein Leib ist wie ein Weizenhaufen, umsteckt mit Lilien. Deine beiden Brüste sind wie junge Zwillinge von Gazellen, die unter den Lilien weiden.‹«
    Als seine Hände ihren Busen kosten, entschlüpfte ihr ein Seufzer, und sie wehrte sich nicht, als er auch ihre Hüften und ihren Bauch in Besitz nahm.
    Ihre Haut brannte von seinen Berührungen, ihre Fingerspitzen schmerzten vor Verlangen, und schließlich getraute sie sich, über seine Brust zu streichen. Die dunklen Locken dort erinnerten sie daran, dass auch er einmal so schwarzhaarig wie sein Sohn gewesen war, und endlich löste sich ihre unnatürlich gelähmte Zunge.
    »›Seine Locken sind kraus, schwarz wie ein Rabe. Seine Augen sind wie Tauben an den Wasserbächen, sie baden in Milch und sitzen an reichen Wassern. Seine Wangen sind wie Balsambeete, in denen Gewürzkräuter wachsen.‹«
    Sie fühlte das leise Lachen in seiner Brust, und die Anspannung fiel von ihr ab.
    Etwas anderes aber begehrte an die Oberfläche zu kommen, und als seine Hände fordernder wurden, schmiegte sie sich an ihn. Ihre Finger erkundeten die Muskelstränge seines Rückens, ihre Lippen die gebräunte Haut seiner Schultern. Und als sie seinen heftigen Atem vernahm, wagte sie es sogar, ihr Bein um seine Hüften zu schlingen.
    »›Sein Leib ist wie reines Elfenbein, mit Saphiren geschmückt. Seine Beine sind wie Marmorsäulen, gegründet auf goldenen Füßen. Seine Gestalt ist wie der Libanon, auserwählt wie Zedern. Sein Mund ist süß, und alles an ihm ist lieblich. - So ist mein Freund; ja, mein Freund ist so.‹«
    »Dann lasst mich Euch fühlen, dass meine Lippen wie Lilien sind, die von fließender Myrrhe triefen. Und meine Finger sollen sein wie goldene Stäbe, voller Türkise.«
    Heiterkeit vermischte sich mit Verlangen, Zärtlichkeit mit tiefstem Vertrauen. Noch schliefen ihre Sinne, aber ihr Herz wachte. Sie lauschte seinen Worten und Wünschen und legte ihre Scheu ab wie ein Kleid. Sie ließ ihn den geschlossenen Garten öffnen, er berührte die verborgene Pforte mit seiner Hand, und ihr Innerstes wallte ihm entgegen. Da war sie bereit, ihrem Freunde aufzutun, und ihre Hände troffen von Myrrhe und die Finger von fließender Myrrhe am Griff des Riegels.
    So kam er in seinen Garten und pflückte die Myrrhe samt den Gewürzen, er aß die Wabe samt Honig und trank den Wein samt Milch.
    Das lange Zölibat hatte Ivo vom Spiegel Zucht gelehrt, und mit Zucht stillte er seinen Hunger und den ihren, bis alle Zucht zerbarst und die reinste Lust ihre Sinne trunken machte.
     
    »Almut?«
    Seine Stimme klang noch rau von der
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