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Das brennende Gewand

Das brennende Gewand

Titel: Das brennende Gewand
Autoren: Andrea Schacht
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und lauschte seinen Worten. Mit leiser Stimme erzählte er ihr, wie Fredegar mit seiner Botschaft zu ihm gekommen war und wie er sie im Regen gesucht hatte.
    »Ich hatte Angst um Euch. Angst, dass er Euch verletzen oder Euch zwingen würde.«
    »Er hat es versucht, aber...« Ihr klapperten die Zähne stärker und sie kuschelte sich fester an den Herrn an ihrer Seite. »Er hat... er wusste nicht, dass ich recht kräftig bin.«
    »Nicht jede Frau baut ihre eigenen Kathedralen.«
    »Ist ja nur ein Kapellchen. Aber - na ja, ich konnte mich losreißen, dort in der Kelter. Und ergriff eine der Hacken, die an der Wand lehnten. Sie hielt ihn auf Abstand.«
    »Das sehe ich vor mir. ›Sie gürtet ihre Lenden mit Kraft und regt ihre Arme. Kraft und Würde sind ihr Gewand, und sie lacht des kommenden Tages.‹«
    »Ach ja, die tüchtige Hausfrau, die der Weise lobt. Ich fürchte nur, nach dem Acker trachten und den Weinberg pflanzen - das geht über meine Fähigkeiten. Aber ich habe Ramon ein-, zweimal um die Presse gescheucht. Aber er konnte mir die Hacke entwinden. Ich musste ihm einen Tritt verpassen. Dann fiel mir der Hammer in die Hand.«
    »Und mit dem versteht Ihr umzugehen.«
    »Das bemerkte er auch. Mich wundert’s, dass er nicht zum Dolch griff.«
    »Er wollte mich. Mich wollte er leiden sehen, und hätte er mich überwältigt...« Der Herr vom Spiegel seufzte, aber es klang wie Erleichterung. »Er ist tot. Seine Schwester wird es bald sein. Die Vergangenheit ruht.«
    Sie schwiegen und lauschten dem Regen und dem Wind. Durch die Ritzen der Bretterwand drang das Dämmerlicht. Irgendwo raschelte eine Maus durch das trockene Gras, summte eine müde Mücke unter den hohen Firstbalken. Das Pferd unter ihnen rupfte zufrieden an seinem Futter und schnaubte dann und wann.
    »Ist Euch noch kalt, mein Lieb?«, hörte Almut ihn an ihrem Ohr murmeln.
    »Nein.«
    Der Arm um ihre Schulter verstärkte seinen Druck.
    »Schmerzt Euch die Wunde?«, fragte sie.
    »Nein.«
    Wie zum Beweis begann seine Hand ihre feuchten Haare auszubreiten.
    »Ihr habt sie einst wie ein Gewand getragen. Ich habe Eure Haltung damals sehr bewundert.«
    Almut dachte an die demütigende Bahrprobe, bei der sie, nur in ihre Haare gehüllt, durch die vollbesetzte Kirche gehen musste.
    »Ihr habt doch gar nicht aufgeschaut.«
    Ein leises Lachen war die Antwort.
    »Doch, natürlich. Und Euer Anblick hat mir in vielen Nächten darauf große Pein verursacht.«
    »Oh.«
    »Das Psalmodieren zur frühen Stunde der Matutin war mir jedoch eine große Hilfe.«
    »Tatsächlich?«
    »Es lenkt von unkeuschen Gedanken ab. Nun ja, weitgehend.«
    Die kleine Flamme in ihrem Bauch entzündete sich und verbreitete Wärme und Heiterkeit. Bedauerlicherweise erfasste sie auch ihre Zunge, und die sprach: »So seid Ihr genauso ein guter Mime wie Derich, der Gaukler.«
    »Zucht, Weib, nicht Verstellung gab mir die Kraft, Euch zu widerstehen«, grummelte er.
    »›Die Furcht des Herrn ist Zucht, die zur Weisheit führt, und ehe man zu Ehren kommt, muss man Demut lernen‹«, spöttelte die ungebärdige Zunge, doch die Antwort darauf war ernst.
    »Glaubt mir, ich habe Demut gelernt, seit ich Euch kenne, mehr als in all den Jahren zuvor.«
    Im Dämmerlicht war sein Gesicht dunkel, als sie zu ihm aufschaute, und Schatten lagen darin. Dennoch erhob sich wie eine Stichflamme die Glut in ihrem Leib, und als habe er ihr Aufleuchten gesehen, beugte er sich vor und brachte ihre Zunge zum Schweigen, bevor sie größeren Schaden anrichten konnte.
    Die Decke glitt von ihren Schultern, und seine Hände berührten ihre warme Haut. Als er ihren Mund freigab, blieb sie stumm. Aber sie konnte ihren Fingern nicht gebieten, und die fanden den Weg unter die Hülle, die seine Schultern verbarg. Mit einem einzigen Schütteln ließ er die Decke hinabgleiten.
    »Habe ich mir die Ehre verdient, Weib?«, flüsterte er heiser.
    »Ihr habt, mein Herr.«
    Seine Hände glitten über ihre bloßen Schultern und drückten sie sanft in das weiche Heu nieder. Seine Lippen kosten ihre Wangen, ihre Schläfen und ihre Kehle. Doch obwohl sie es willig geschehen ließ, spürte er ihre wachsende Anspannung. Er besann sich seiner Zucht und entfernte sich leicht von ihr. Nicht Zärtlichkeiten würden ihr helfen, ihre Angst zu überwinden, vielleicht aber würden es Worte tun. Und so bat er mit einer Stimme wie tiefgoldener Honig: »›Meine Schwester, liebe Braut, du bist ein verschlossener Garten, eine verschlossene Quelle, ein
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