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Das Blut der Unsterblichen

Das Blut der Unsterblichen

Titel: Das Blut der Unsterblichen
Autoren: Christine Saamer-Millman
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es, woher auch immer. Nachdem er das Loft verlassen hatte, erhob sie sich, stellte sich ans Fenster und blickte gedankenverloren in die Nacht hinaus. Betrachtete die Menschen, die vor dem Eingang der Diskothek auf Einlass warteten. Junge, appetitliche Sterbliche, deren Blut sicher hervorragend schmecken würde. Sofort erwachte ihr Jagdtrieb und der brennende Durst manifestierte sich in ihren Eingeweiden. Nicht Marcus, sondern diese Gier, würde den Rest ihres Daseins bestimmen.
    Leila trat neben sie und zog den Vorhang zu. „Tu dir das nicht an, Mama.“
    „Es ist schon gut, ich schaffe das“, erwiderte Kristina. „Ich habe mir nur vorgestellt, dass dies die nächsten Jahre dein Zuhause sein wird. Nicht gerade passend für eine Sechzehnjährige.“
    Leila zuckte mit den Schultern. „Es gibt Schlimmeres. Außerdem werde ich ja bald siebzehn.“
    „Hast du keine Angst vor Nahum?“, fragte Kristina.
    Leila wirkte ehrlich überrascht. „Nein, ich denke wir kommen klar. Ich mache mir nur Sorgen, ob es ein paar annähernd gleichaltrige Unsterbliche gibt, oder ob ich gezwungen sein werde, meine gesamte Zeit mit diesen humorlosen, alten Säcken zu verbringen.“
    Kristina musste wider Willen lächeln. Woher nahm Leila nur diese Zuversicht und die unerschütterliche Ruhe? Als Mensch hätte sie sich bald für ein Studium oder eine Ausbildung entscheiden müssen, doch wie war das als Unsterbliche? Mit was würde sie ihren Lebensunterhalt verdienen? Ihrer beider Zukunft war ungewiss, noch dazu waren sie vollständig auf die Hilfe von Fremden angewiesen. Sie seufzte. Wenn nur Marcus hier wäre. Eine tiefe Schwermut erfasste sie bei der Vorstellung, wie einsam sie in den nächsten Jahren sein würde.
    Als der Morgen graute, kehrte Nahum zurück, gefolgt von Philippe. Kristina, die noch immer vor dem Fenster stand, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete.
    „Gute Nachrichten“, sagte Philippe. „Die Ältesten werden euch nicht mehr befragen. Es gab hitzige Diskussionen darüber, wie es Marcus gelungen sein könnte, aus dem Verlies zu fliehen, doch Nahum konnte die Ältesten davon überzeugen, dass ihr nicht das Geringste mit seinem Verschwinden zu tun habt.“
    „Allerdings musste ich Carl und Doreen mit einem Gehaltsbonus davon überzeugen, dass sie dich nicht gesehen haben“, warf Nahum mit einem vorwurfsvollen Blick in Kristinas Richtung ein. Kristina zuckte gleichmütig mit den Schultern.
    „Glücklicherweise wagt niemand, mich der Beihilfe zur Flucht zu bezichtigen. Doch ich bin mir sicher, dass einige Älteste genau das denken“, fügte er hinzu.
    „Wir halten es für das Beste, wenn wir sofort aufbrechen, Kristina, damit Ruhe einkehren kann und nicht doch noch jemand auf die Idee kommt, dich zu befragen“, sagte Philippe.
    „Jetzt gleich?“, fragte Kristina erschrocken.
    „Ich weiß, es ist sicher schwer für dich, aber Nahum wird gut für Leila sorgen und Marcus weiß, wo du bist.“
    Kristina nickte betreten. „In Ordnung. Ich hole meine Sachen.“
    „Ich komme mit“, sagte Leila und folgte ihr in den Gästebereich. Sie plumpste auf das Futon, stützte das Kinn auf die Hände und beobachtete, wie Kristina ihren Kulturbeutel in den Koffer stopfte. Nun, da der Abschied nahte, wirkte sie verunsichert, als bekäme sie plötzlich Angst vor ihrer eigenen Courage. Kristina schloss den Koffer und setzte sich neben ihre Tochter.
    „Pass auf dich auf“, sagte sie. „Und vergiss nicht – ich kann in wenigen Stunden bei dir sein. Falls ein Problem auftaucht oder du Sehnsucht nach mir hast.“
    „Ich werde dich bestimmt jeden Tag anrufen, weil ich dich so vermisse“, sagte Leila.
    „Und ich verspreche dir, dich sobald wie möglich zu besuchen. Im Übrigen kannst du das auch tun. Philippes Anwesen ist wunderschön, es würde dir ganz sicher gefallen. Und wer weiß, in ein paar Jahren kehren wir vielleicht nach Hause zurück, zu unserem kleinen, spießigen Haus am Stadtrand.“
    Leila lächelte schief. „Glaubst du wirklich?“
    „Aber klar.“ Kristina gab ihr einen Kuss und sah sie dann eindringlich an. „Du bist mir der allerliebste Mensch auf der Welt, meine wunderschöne Tochter, ich liebe dich.“
    „Ich hab dich auch lieb“, erwiderte Leila.
     
    Der Morgen war trüb und regnerisch, trotzdem erschien Kristina das Tageslicht grell wie ein Flutscheinwerfer. Die freiliegende Haut an den Händen und im Gesicht kribbelte unangenehm. Sie folgte Philippe zu seinem Volvo, der, wie alle Fahrzeuge
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