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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild
Autoren: Stephen King
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Dann sah sie die Faust
auf sich zukommen, wurde sofort hellwach und lag zitternd neben ihm und hoffte, er würde sich, selbst im Halbschlaf, nicht umdrehen und ihr einen Schlag in den Magen
oder auf den Oberschenkel verpassen, weil sie ihn gestört
hatte.
    Sie kam in diese Hölle, als sie achtzehn war, und erwachte
etwa einen Monat nach ihrem zweiunddreißigsten Geburtstag aus der Benommenheit, fast ein halbes Leben später. Was
sie aufweckte, war ein einziger Tropfen Blut, nicht größer als
ein Zehncentstück.
2
    Sie sah ihn beim Bettenmachen. Er war auf dem Laken,
auf
ihrer Seite, etwa dort, wo das Kissen lag, wenn das Bett
gemacht war. Sie hätte sogar das Kissen ein wenig nach links
schieben und dadurch den Fleck verstecken können, der eingetrocknet eine häßlich kastanienbraune Farbe angenommen hatte. Sie sah, wie einfach es gewesen wäre, und fühlte
sich versucht, es zu tun, und zwar hauptsächlich, weil sie das
Laken nicht einfach wechseln konnte; sie hatte kein sauberes
weißes Bettzeug mehr, und wenn sie eines mit Blumenmuster als Ersatz für das weiße mit dem Tropfen Blut darauf
aufzog, würde sie auch das andere durch eins mit Blumenmuster ersetzen müssen. Wenn nicht, würde er sich mit
Sicherheit beschweren.
    Sieh sich einer das an, konnte sie ihn sagen hören. Die
verdammten Laken passen nicht mal zusammen - unten ein
weißes und darüber eins mit Blumen drauf. Herrgott, warum
mußt du so schlampig sein? Komm hierher, ich will mit dir
reden - aus der Nähe.
    Sie stand auf ihrer Seite des Bettes unter einem Strahl der
Frühlingssonne, die faule Schlampe, die den ganzen Tag
damit verbrachte, das kleine Haus zu putzen (ein einziger
verschmierter Fingerabdruck in der Ecke des Badezimmerspiegels konnte Auslöser für einen Schlag sein) und zwanghaft darüber zu grübeln, was sie ihm zum Abendessen
machen sollte; sie stand da und betrachtete den winzigen
Blutfleck auf dem Laken, und dabei sah ihr Gesicht so vollkommen erschlafft und leblos aus, daß ein Beobachter sie für
geistig zurückgeblieben hätte halten können. Ich hab gedacht,
meine verdammte Nase hätte aufgehört zu bluten, sagte sie zu
sich. Das hab ich wirklich.
    Er schlug sie nicht oft ins Gesicht; dazu war er zu schlau.
Ins Gesicht wurden die betrunkenen Arschlöcher geschla gen, die er in seiner Laufbahn als uniformierter Polizist und
dann als städtischer Detective zu Hunderten verhaftet hatte.
Schlug man jemanden - zum Beispiel seine Frau - zu oft ins
Gesicht, dann verloren die Geschichten vom die -TreppeHinunterfallen, mitten in der Nacht gegen-die-ToilettentürLaufen oder im-Garten-auf-den-Rechen-Treten ihre Glaubwürdigkeit. Dann merkten es die Leute. Dann redeten die
Leute. Und mit der Zeit bekam man Ärger, auch wenn die
Frau den Mund hielt, denn die Zeiten, als die Leute noch
wußten, wie man sich um seine eigenen Angelegenheiten
kümmert, waren offensichtlich vorbei.
    Das alles bezog jedoch nicht sein Temperament mit ein. Er
hatte ein böses Temperament, ein sehr böses, und manchmal
ging es einfach mit ihm durch. Das war gestern abend passiert, als sie ihm das zweite Glas Eistee gebracht und dabei
etwas auf seine Hand geschüttet hatte. Wumm, und ihre
Nase blutete wie ein zerbrochenes Wasserrohr, ehe er noch
recht wußte, was er tat. Sie sah seinen angewiderten Gesichtsausdruck, als ihr das Blut über Mund und Kinn lief,
dann den Ausdruck besorgter Berechnung - wenn ihre Nase
nun tatsächlich gebrochen sein sollte? Das bedeutete wieder
einen Ausflug ins Krankenhaus. Einen Augenblick hatte sie
gedacht, daß ihr nun eine richtige Tracht Prügel bevorstand,
eine, nach der sie zusammengekrümmt in der Ecke lag,
stöhnte und weinte und versuchte, soviel Luft zu bekommen, daß sie sich erbrechen konnte. In ihre Schürze. Immer
in ihre Schürze. In diesem Haus schrie man nicht laut auf
oder widersprach dem Hausherrn, und ganz sicher erbrach
man sich nicht auf den Fußboden - das heißt, wenn man
wollte, daß man den Kopf auf den Schultern behie lt.
    Dann hatte sein geschärfter Selbstschutzinstinkt die Oberhand gewonnen, und er hatte ihr einen mit Eis gefüllten
Waschlappen geholt und sie ins Wohnzimmer geführt, wo
sie sich aufs Sofa legte und den behelfsmäßigen Eisbeutel
zwischen die tränenden Augen drückte. Dahin mußte man
ihn halten, informierte er sie, wenn man die Blutung rasch
stoppen und die resultierende Schwellung gering halten
wollte. Natürlich galt seine Hauptsorge der Schwellung.
Morgen war Markttag, und eine
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