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Das Bienenmaedchen

Das Bienenmaedchen

Titel: Das Bienenmaedchen
Autoren: Rachel Hore
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andere Frau« ihn diesmal auch verloren hatte. Die beiden Witwen waren nicht in der Lage, sich zu begegnen und gemeinsam zu trauern. Lucy nahm an, dass sie in der anderen jeweils genau das sahen, was sie selbst Tom nicht hatten geben können, und Lucy hatte keine Lust mehr, die Brücke zwischen ihnen zu sein.
    Als sie in der ruhigen Gasse draußen vor dem Walnut Tree Cottage aus dem Auto stieg, sah Lucy, dass Helena schon an der Haustür auf sie wartete – eine gertenschlanke Gestalt in einem taubengrauen Twinset.
    »Du kommst furchtbar spät!«, rief Helena. Ihre helle Stimme zitterte. »Ich hab mir schon Sorgen gemacht.«
    »Tut mir leid, Helena«, erwiderte Lucy, die sich schuldig fühlte. »Ich konnte erst um eins losfahren, und dann hat es ewig gedauert, bis ich aus London raus war.«
    »Ist schon in Ordnung«, sagte Helena. »Es ist nur, seit dein Vater … Ich kann nicht anders, ich mach mir immer Sorgen.«
    Ihre Wange fühlte sich trocken an, als Lucy sie küsste. Ihr glanzloses braunes Haar hatte einen Stich ins Graue bekommen und sah aus wie mit Asche bestäubt.
    Die weißen Nelken, die Lucy bei einem Zwischenstopp zum Tanken gekauft hatte, waren zerquetscht und vertrocknet. Sie überreichte den Strauß mit einer gemurmelten Entschuldigung.
    »Wie aufmerksam von dir, Liebes. Ich bin so froh, dass du gekommen bist!«
    »Ich hätte dich schon früher besuchen sollen.«
    »Du hast zu viel zu tun, das weiß ich doch. Du warst auch unterwegs, oder?«
    Helena hängte Lucys Mantel in einen Schrank und führte sie in die sterile weiße Küche. »Hast du am Telefon nicht von Rumänien gesprochen?«
    »Bulgarien«, antwortete Lucy, während sie zusah, wie Helena die schrecklichen Blumen in einer cremefarbenen Porzellanvase arrangierte. »Wir haben einen Kostümfilm gedreht. Mit Unterbrechungen war ich drei Wochen dort.«
    Im Flur stellte Helena die Vase auf ein Regal zwischen zwei konturlose Figürchen. »Also, wir sollten hier drinnen anfangen, glaub ich …« Ihre Stimme erstarb langsam, während sie die Tür zum Esszimmer aufschob. Lucy sah, warum. Vier hässliche Kartons waren auf dem Tisch aufgereiht und zerstörten die ordentlichen Linien in Helenas Leben.
    »Da drin ist lauter Krimskrams von deinem Vater«, sagte Helena und trat an den Tisch. »Seine Kleidung hat ein Wohlfahrtsverband abgeholt.«
    »Ja, natürlich«, sagte Lucy rasch. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Fremde in den Anzügen und Schuhen ihres Vaters herumliefen.
    Helena sah sie an. »Wie du weißt, sind seine finanziellen Angelegenheiten geregelt. Es gibt nur noch diese Sachen und ein paar Dinge in seinem Arbeitszimmer – die Bücher natürlich.«
    Ein Karton war zu voll und ging nicht mehr richtig zu. Oben auf einem Berg von Rugby-Programmen lag eine Fotografie in einem Silberrahmen. Helena griff danach und reichte sie Lucy: »Hier, das lag in der unteren Schublade seines Schreibtischs. Ist das nicht deine Großmutter?«
    Lucy durchfuhr ein leichtes Beben des Wiedererkennens. Das Bild zeigte Granny in ihrer Jugend am Strand. Es war das Foto, das ihr Vater bei Grannys Begräbnis auf die Vorderseite des Blattes mit dem Ablauf des Trauergottesdienstes hatte drucken lassen. Lucys ganze Kindheit über hatte es zu Hause im Bücherregal gestanden, aber hier hatte ihr Vater es offenbar verborgen aufbewahrt. Hatte er es nicht ertragen können, das Foto anzuschauen? Aus welchem Grund?
    »Ich wäre dir jedenfalls sehr dankbar«, sagte Helena, »wenn du das alles mitnehmen würdest.«
    »Mach ich gern«, entgegnete Lucy. Sie fügte nicht hinzu, dass diese Dinge Helena ohnehin nicht gehörten.
    Als hätte sie Lucys Gedanken gelesen, warf ihr Helena einen ruhigen Blick aus ihren grauen Augen zu und sagte mit ihrer hellen Stimme: »Es hat nie infrage gestanden, dass du das bekommst.«
    »Nein, natürlich nicht«, erwiderte Lucy. Sie betrachtete immer noch das Foto. Ihre Großmutter war sehr schön gewesen, und der wissende Blick, mit dem Granny seitlich in die Kamera sah, weckte Lucys berufliches Interesse. Sie musste ein dankbares Objekt für einen Fotografen gewesen sein. Es stimmte wahrhaftig: Manche Menschen wurden von der Kamera geliebt.
    »Eine bezaubernde Person, oder?«, bemerkte Helena, als ob sie das missbilligte. »Ach, Lucy, ich weiß, es ist bestimmt nicht einfach für dich … diese Situation. Ich hoffe, dass du und ich … dass wir Freundinnen bleiben.«
    »Natürlich bleiben wir das.« Es wäre grausam gewesen, etwas anderes zu
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