Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Bienenmaedchen

Das Bienenmaedchen

Titel: Das Bienenmaedchen
Autoren: Rachel Hore
Vom Netzwerk:
Angie noch nie in diesem Licht gesehen. Schön, ja, aber tapfer? Was meinte er?
    »… ein schwieriges Leben«, hörte sie ihn fortfahren. »Der tragische Tod ihres Bruders und ihrer Mutter, die gesundheitlichen Probleme ihres Mannes …«
    Die Lautstärke der Wörter schwoll an und verebbte in dieser leisen Bassstimme.
    »Ich weiß, es war eine Enttäuschung für sie, dass ich ihr einziges Kind war, und mir war immer bewusst, wie kostbar ich war.« Er sah kurz auf und blickte seine Zuhörer an. »Viele von Ihnen werden wissen, wie sehr meine Mutter in ihren späten Jahren mit Krankheit zu kämpfen hatte. Auch dies ertrug sie mit großer Tapferkeit, besonders nach dem Tod meines Vaters. Schön und tapfer war sie, aber ich habe meine Mutter auch wegen ihrer Treue geschätzt. Sie war eine hingebungsvolle Mutter und Ehefrau und – wie alle Briefe bezeugen, die ich nach ihrem Tod erhalten habe – eine warmherzige und liebevolle Freundin. Ich war stolz darauf, ihr Sohn zu sein!«
    Einen Moment lang kniff Beatrice die Augen zusammen und versuchte, all das, was sie hörte, in sich aufzunehmen. Hingebungsvoll, warmherzig, treu. So sah sie Angelina gewiss nicht. Als sie wieder aufschaute, bemerkte sie, dass Tom Cardwell sie unmittelbar anstarrte. Seine Miene drückte eine leichte Verwirrung aus, so als ob er versuchte, sie einzuordnen.
    Am Ende des kurzen Gottesdienstes erhoben sich die Trauergäste und standen schweigend da, während sich der elektrische Vorhang rund um den Sarg schloss. Nur Lucy brach die Anspannung mit einem einzigen schluchzenden Aufschrei, und ihre Mutter griff nach ihrer Hand, wobei ihre Armreifen leise klirrten.
    Es war vorbei.
    Beatrice beobachtete Tom, der mit seiner Frau und seiner Tochter vor den anderen nach draußen ging. An der Tür blieb er stehen und dankte allen beim Hinausgehen. Beatrice zögerte, aber dann machte sie sich bewusst, dass ihr nichts anderes übrig blieb – sie würde mit ihm sprechen müssen. Sie hatte sich ein paar Worte zurechtgelegt, aber sie war sich nicht mehr sicher, ob es die richtigen waren. Während sie darauf wartete, dass sie an der Reihe war, stupste jemand gegen ihren Arm und sprach sie mit ihrem Namen an. Sie wandte sich um und sah in ein vertrautes Gesicht. Es gehörte einer untersetzten alten Frau mit einem Basthut, den sie zu fest auf ihr dünnes graues Haar gedrückt hatte. In ihrem Gesicht stand ein Ausdruck boshaften Vergnügens.
    »Hetty … Du bist doch Hetty?«, fragte Beatrice. Angelinas Schwester musste Anfang siebzig sein, drei oder vier Jahre jünger als sie selbst, aber sie sah älter aus.
    »Natürlich bin ich Hetty«, erwiderte die Frau in ihrer gewohnten Schroffheit. »Was zum Teufel machst du denn hier, Bea?« Die Augen, es waren immer die Augen, die jemanden verrieten! Hettys Augen waren braun und blickten unheilvoll, und ihre Mundwinkel waren nach unten gezogen. Unsympathisch, das war schon immer die beste Beschreibung für Hesther Wincanton gewesen. Beatrice beschloss, die Unhöflichkeit zu ignorieren.
    »Wie geht’s dir?«, erkundigte sie sich. »Ich hab dich nicht früher entdeckt, war nicht sicher, ob du hier bist.«
    »Wieso sollte ich nicht?«, entgegnete Hetty. »Ich war ihre Schwester.«
    »Das hab ich nicht gemeint. Ich habe dich nur nicht gesehen – du hast nicht bei Tom gesessen.«
    »Nein«, sagte Hetty knapp. »Spielt ja auch keine Rolle. Ich dachte, ich sollte dich warnen, damit du nicht irgendwas Dummes sagst. Das wirst du doch nicht, oder?«
    »Etwas Dummes? Für wen hältst du mich?«
    Hetty packte ihren Arm, und Beatrice bekam einen Spritzer Spucke ab, als sie ihr zuzischte: »Angie hat ihm nie von dir erzählt, weißt du. Niemals.«
    Beatrice spürte, wie das letzte Fünkchen Hoffnung erlosch. »Hat sie nicht?«, fragte sie leise. Dann richtete sie sich auf. »Wem was erzählt?«
    »Tu doch nicht so, als ob du nicht wüsstest, wovon ich rede. Also halt den Mund! Glaub mir, es ist das Beste.«
    Beatrice mochte Hetty vielleicht nicht leiden, aber aus deren Gesicht sprach eine solche Dringlichkeit, dass sie beunruhigt war. Sie wandte sich mit einem angedeuteten Nicken ab.
    Als sie Tom schließlich gegenüberstand, fühlte sie sich wie betäubt. Sie wusste, dass sie nicht aussprechen durfte, was sie auf dem Herzen hatte. Sie streckte ihre Hand aus.
    »Danke, dass Sie gekommen sind«, murmelte Tom, als er ihre Hand schüttelte. Er sah sie neugierig an. »Kenne ich Sie?«
    »Ich bin Beatrice Ashton«, antwortete sie.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher