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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop
Autoren: Philip Pullman
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Ziegenleder; dazu einen kleinen Blechbecher, ein kleines Fernglas, eine in Papier eingewickelte Rolle Goldmünzen so groß wie der Daumen eines Mannes, einen Erste-Hilfe-Kasten, Wasserreinigungstabletten, ein Paket Kaffee, drei Päckchen eng zusammengepresstes Dörrobst, eine Tüte Haferkekse, einen gesächselten Pfefferminzkuchen, eine Dose mit Angelhaken und einer Nylonschnur und schließlich noch ein Notizbuch, einige Stifte und eine kleine Taschenlampe.
    Er packte alles in den Rucksack, schnitt sich noch eine Scheibe Fleisch ab und füllte zuerst seinen Magen und dann die Feldflasche mit Wasser aus dem See. Dann wandte er sich an Balthamos.
    »Glaubst du, ich brauche noch etwas?«
    »Ein wenig Verstand könnte nicht schaden«, kam die Antwort. »Die Fähigkeit, Weisheit zu erkennen, sie zu achten und ihr zu gehorchen.« 
    »Bist du weise?«
    »Viel mehr als du.«
    »Tja, weißt du, das kann ich nicht beurteilen. Bist du ein Mensch? Du klingst wie einer.«
    »Baruch war einer, ich nicht. Er ist jetzt ein Engel.«
    »Also ... « Will, der damit beschäftigt gewesen war, die Dinge in seinem Rucksack so zu ordnen, dass die schwersten zuunterst lagen, unterbrach seine Arbeit und versuchte den Engel auszumachen. Aber er sah nichts. »Also, er war ein Mensch«, fuhr er fort, »und dann ... Werden Menschen denn nach ihrem Tod zu Engeln?«
    »Nicht immer. In den weitaus meisten Fällen nicht ... Eigentlich sehr selten.«
    »Wann hat Baruch denn gelebt?«
    »Vor ungefähr viertausend Jahren. Ich bin viel älter.«
    »Und hat er in meiner Welt gelebt? Oder in Lyras? Oder in dieser?« »In deiner. Doch es gibt unzählige Welten, wie du weißt.« »Aber wie werden Menschen Engel?«
    »Was sollen diese metaphysischen Spekulationen?«
    »Es interessiert mich einfach.«
    »Konzentriere dich lieber auf deine Aufgabe. Du hast den Toten ausgeplündert, du hast die Spielsachen, die du zum Leben brauchst. Können wir jetzt weiter?«
    »Sobald ich weiß, in welche Richtung ich muss.«
    »Das ist egal, Baruch findet uns überall.«
    »Dann findet er uns auch, wenn wir hier bleiben. Ich muss noch einige Dinge erledigen.«
    Will setzte sich so hin, dass er Sir Charles' Leiche nicht sehen konnte, und aß drei Stücke Pfefferminzkuchen. Danach fühlte er sich wunderbar erfrischt und gestärkt. Er zog noch einmal das Alethiometer heraus. Die sechsunddreißig kleinen, auf Elfenbein gemalten Bilder waren gestochen scharf zu sehen. Das eine zeigte ein Baby, das nächste eine Marionette, das dritte einen Brotlaib und so weiter. Nur die Bedeutung der Bilder blieb ihm leider unklar.
    »Wie hat Lyra das gelesen?«, fragte er Balthamos.
    »Sie hat wahrscheinlich nur so getan. Wer mit einem solchen Instrument umgehen will, muss das jahrelang lernen und braucht selbst dann noch viele Nachschlagewerke.«
    »Lyra hat nicht nur so getan, sie konnte das Gerät wirklich lesen. Sie hat mir Sachen gesagt, die sie sonst nicht hätte wissen können.« 
    »Dann verstehe ich das genauso wenig wie du«, sagte der Engel. 
    Will betrachtete das Alethiometer. Ihm fiel ein, dass Lyra ihm einmal erklärt hatte, wie sie es las und in welche geistige Verfassung sie sich dazu versetzen musste. Ihm hatte es dagegen geholfen, mit dem Messer umzugehen und herauszufinden, was er mit der silberglänzenden Klinge alles anfangen konnte.
    Aus Neugier zog er das Messer heraus und schnitt vor sich ein kleines Fenster in die Luft. Durch das Loch sah er zunächst nur blauen Himmel, dann tief unter sich eine Landschaft mit Bäumen und Feldern, zweifellos seine eigene Welt.
    Den Bergen in dieser Welt entsprachen also nicht Berge in seiner Welt. Er schloss das Fenster, zum ersten Mal mit der linken Hand. Wie wunderbar, sie wieder verwenden zu können!
    Ihm kam ein neuer Gedanke, so plötzlich wie ein kleiner Stromschlag. Wenn es unzählige Welten gab, warum öffnete das Messer dann nur Fenster zwischen dieser und seiner Welt?
    Er konnte mit dem Messer doch sicher Fenster in jede beliebige Welt schneiden.
    Wieder hielt er es hoch und konzentrierte seine Gedanken auf die äußerste Spitze der Klinge, wie Giacomo Paradisi es ihn gelehrt hatte, bis sein Bewusstsein in die Ritzen zwischen den Atomen eindrang und er jeden kleinsten Widerstand und jede Unebenheit in der Luft spürte. 
    Statt wie bisher zu schneiden, sobald die Klinge zum ersten Mal hängen blieb, bewegte er die Klinge von Unebenheit zu Unebenheit weiter, als führe er sie an einer Naht entlang. Dabei drückte er nur ganz
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