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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop
Autoren: Philip Pullman
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kleinen Wirbel, dann landete eine Amsel auf dem Gras zu Wills Füßen.
    »Flieg auf meine Schulter«, befahl Will.
    Der Vogel gehorchte, bemerkte dann aber mit der bissigen Stimme des Engels: »Ich mache das nur, wenn es absolut notwendig ist. Es ist unbeschreiblich demütigend.«
    »Dein Pech«, sagte Will. »Wann immer wir in dieser Welt Menschen begegnen, verwandelst du dich in einen Vogel. Widerspruch ist zwecklos. Gehorche einfach.«
    Die Amsel flog von seiner Schulter auf und verschwand in der Luft. Dann war im Dämmerlicht wieder der Engel zu sehen. Er schmollte. Bevor sie durch das Fenster zurückkehrten, sah Will sich noch einmal nach allen Seiten um, atmete prüfend die Luft ein und verschaffte sich einen Eindruck von der Welt, in der Lyra gefangen gehalten wurde.
    »Wo ist dein Gefährte jetzt?«, fragte er.
    »Er folgt der Frau nach Süden.«
    »Dann tun wir das morgen früh auch.«
     
     
    Am nächsten Tag marschierte Will stundenlang, ohne jemandem zu begegnen. Die Landschaft bestand überwiegend aus flachen, mit dürrem Stoppelgras bedeckten Hügeln. Sobald er auf einer nennenswerten Anhöhe stand, sah er sich nach Spuren menschlicher Zivilisation um, entdeckte jedoch keine. Die einzige Abwechslung in der staubigen, braungrünen Ödnis war ein dunkelgrüner Fleck in der Ferne. Auf den steuerte Will zu, weil Balthamos gesagt hatte, dort sei ein Wald und auch ein Fluss, der nach Süden fließe. Als die Sonne am höchsten stand, versuchte er unter einigen niedrigen Büschen zu schlafen, doch vergeblich. Gegen Abend taten ihm die Füße weh, und er fühlte sich hundemüde.
    »Wir kommen kaum voran«, sagte Balthamos verdrossen.
    »Ich kann nichts dafür«, erwiderte Will. »Wenn du nichts Besseres zu sagen hast, dann sag lieber gar nichts.«
    Endlich langten sie am Waldrand an. Die Sonne stand tief am Horizont, und in der Luft flogen so viele Pollen, dass der Junge mehrere Male niesen musste und dabei ganz in der Nähe einen Vogel aufschreckte. Kreischend entfernte sich das Tier.
    »Das war das erste Lebewesen, dem ich heute begegne«, sagte Will.
    »Wo willst du übernachten?«
    Balthamos war jetzt in den langen Schatten der Bäume gelegentlich sichtbar. Sein Gesicht trug, soweit Will es beurteilen konnte, einen mürrischen Ausdruck.
    »Irgendwo hier«, sagte Will. »Hilf mir eine geeignete Stelle suchen. Ich höre einen Bach - schau nach, ob du ihn findest.«
    Der Engel verschwand. Will stapfte durch niedrige Büsche von Heidekraut und Heidemyrte. Wenn es wenigstens einen Weg gegeben hätte, dem er folgen konnte. Besorgt sah er hinauf zur untergehenden Sonne. Er musste sich bald für ein Nachtlager entscheiden, sonst zwang ihn die Dunkelheit dazu, irgendwo anzuhalten.
    »Links«, sagte Balthamos eine Armlänge von ihm entfernt. »Ein Bach und ein abgestorbener Baum für Brennholz. Hier lang.«
    Will folgte der Stimme des Engels und erreichte bald die beschriebene Stelle. Ein Bach sprudelte munter zwischen moosbewachsenen Steinen dahin und stürzte über eine Schwelle unter den überhängenden Bäumen in eine enge, dunkle Schlucht. Zwischen dem Bach und den Büschen und Bäumen erstreckte sich ein grasbewachsenes Ufer.
    Bevor er sich ausruhen durfte, sammelte er noch Holz. Dabei stieß Will im Gras auf einen Kreis rußgeschwärzter Steine. Hier hatte vor nicht allzu langer Zeit jemand Feuer gemacht. Er sammelte Zweige und einige dickere Äste, schnitt sie mit dem Messer auf eine brauchbare Länge und versuchte dann Feuer zu machen. Er hatte noch nie ein Feuer gemacht, und es kostete ihn einige Streichhölzer, bis es endlich brannte.
    Der Engel sah ihm resigniert dabei zu.
    Als das Feuer brannte, aß Will zwei Haferkekse, etwas Trockenfleisch und ein Stück Pfefferminzkuchen. Dazu trank er kaltes Wasser. Balthamos saß stumm neben ihm.
    »Willst du mich die ganze Zeit so anschauen?«, fragte Will schließlich. »Ich laufe dir schon nicht weg.«
    »Ich warte auf Baruch. Er kommt bald zurück, und dann werde ich dich, wenn es dir lieber ist, nicht mehr ansehen.«
    »Willst du etwas essen?«
    Balthamos wippte auf und ab. Offenbar war er nicht abgeneigt. »Ich weiß ja nicht, ob du überhaupt Nahrung zu dir nimmst«, sagte Will. »Aber wenn du etwas willst, bitte.«
    »Was ist das denn?«, fragte der Engel wählerisch und zeigte auf den Pfefferminzkuchen.
    »Hauptsächlich Zucker, glaube ich, und Pfefferminz. Hier.« Will brach ein Stück ab und hielt es ihm hin. Balthamos neigte den Kopf und roch daran. Dann
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