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Das Begräbnis des Monsieur Bouvet

Das Begräbnis des Monsieur Bouvet

Titel: Das Begräbnis des Monsieur Bouvet
Autoren: Georges Simenon
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rührte sich der Besitzer des Musikladens nicht, so überrascht war er, als er sah, wie sie sich auf einen Passanten stürzte und sich an seinem Arm festklammerte.
    »Einen Polizisten!« schrie sie noch einmal quer über die Straße. »Schnell! …«
    Der Unbekannte, dem sie so hart zusetzte, trug einen grauen Anzug von undefinierbarem Schnitt, einen braunen Hut und sah vollkommen unauffällig aus.
    »Aber ich muß doch bitten!« sagte er und versuchte sich loszumachen, ohne dabei jedoch Gewalt oder Kraft anzuwenden. »Ich will weder davonlaufen noch Ihnen etwas tun.«
    »Aber ich, ich erkenne Sie. Ich weiß, wer Sie sind. Sie sind ein verdammter Nazi!«
    Sie schrie die Worte, so laut sie konnte, um die wenigen Menschen, die sich in Rufweite befanden, auf sich aufmerksam zu machen. Bestimmt hätte sie den Mann, falls er zu fliehen versucht hätte, nicht losgelassen und sich lieber auf dem Boden mitschleifen lassen.
    »Ein Nazi! Ein verdammter deutscher Nazi!« wiederholte sie. »Er hat mich im Krieg wegen Monsieur Bouvet verhört, weil er ihn verhaften wollte.«
    Der Besitzer des Musikladens hatte in der Nähe der Brücke einen Polizisten angetroffen, der mit großen Schritten herbeieilte.
    »Schnell, Herr Wachtmeister. Man weiß nie, wozu diese Leute imstande sind. Er ist ein deutscher Nazi. Er war während des Krieges hier und wollte einen meiner Mieter verhaften …«
    Der Unbekannte schien verlegen, aber ruhig. Als sie seinen Ärmel losließ, brachte er seine Jacke und seine Krawatte wieder in Ordnung.
    »Können Sie sich ausweisen?« fragte der Polizist mit strenger Stimme.
    Andere Leute hatten sich zu der kleinen Gruppe geseilt, und es standen jetzt etwa zwölf Personen auf dem Quai.
    »Ich werde Ihnen meine Papiere im Kommissariat zeigen, wenn Sie nichts dagegen haben.«
    »Hören Sie seinen Akzent. Ich irre mich ganz sicher nicht. Damals waren seine Haare ganz kurz.«
    Der Polizist nahm ihm den Hut vom Kopf, und der Mann lachte, weil er fast gar keine Haare mehr hatte.
    »Geben Sie zu, daß Sie diese Frau schon einmal gesehen haben?«
    »Ich werde Ihrem Vorgesetzten diese Frage beantworten, Herr Wachtmeister.«
    »Warten Sie einen Moment, bis ich meinen Mann geweckt habe, damit er in der Loge aufpaßt. Ich will mitgehen. Ich muß dem Kommissar erklären …«
    Und sie lief nach Hause, riß sich ihre Schürze herunter und erschien nach ein paar Minuten wieder mit einem Hut auf dem Kopf.
    »Ein Nazi!« wiederholte sie wie zu sich selbst. »Wenn Monsieur Bouvet hiergewesen wäre, hätten sie ihn sicher erschossen.«

9
    E r gab unterwegs keine Erklärungen ab. Der Polizist hielt ihn an einem Arm fest und schob ihn vorwärts, als habe er es mit einer Puppe zu tun. Ohne ersichtlichen Grund, unbewußt vielleicht, gab er ihm ab und zu einen Stoß. Der Mann gehörte vom Typ her zu den Leuten, die man gern lynchen würde.
    Die Concierge, die viel kleiner war, marschierte mit schnellen Trippelschritten neben ihnen. Dabei redete sie unaufhörlich mit sich selbst. Es folgten ein paar Neugierige, von denen einige gar nicht wußten, worum es eigentlich ging.
    Der Mann war ganz durchschnittlich, aber doch von einer Durchschnittlichkeit, die ihn verdächtig machte. Wenn jemand irgendwo ›Haltet den Dieb!‹ geschrien hätte, so hätten sich sicher alle Blicke auf ihn gerichtet.
    Man konnte ihn sich noch besser vorstellen, wie er kleinen Mädchen nach der Schule auflauerte.
    Das lag vielleicht an seiner sehr weißen Haut, von der sich seine dichten schwarzen Augenbrauen deutlich abhoben, an seinen etwas starren, hervortretenden Augen und seinen auffallend roten Lippen, die wie geschminkt aussahen.
    Man konnte sich nicht vorstellen, daß er wie jeder andere zu einer Familie gehörte, Frau und Kinder hatte, zu denen er heimkehrte. Er war ein Einzelgänger, ein trauriger Mensch. Man hätte schwören können, er sei schlecht gewaschen.
    Er ließ sich hin und her stoßen, als sei er daran gewöhnt. Erst im Polizeikommissariat, gleich im ersten Zimmer, das durch eine Balustrade zweigeteilt war, zog er noch einmal seine Jacke, seinen Kragen und seine Krawatte zurecht und sagte mit unerwarteter Selbstsicherheit:
    »Ich möchte den Kommissar sprechen.«
    Der Beamte sah auf die Wanduhr, öffnete auf gut Glück die Tür zum Büro seines Vorgesetzten und sah voller Überraschung, daß dieser schon da war. Er redete halblaut mit ihm. Der Kommissar stand auf, steckte den Kopf durch die Tür, sah den Mann neugierig an und zuckte mit den
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