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Das Begräbnis des Monsieur Bouvet

Das Begräbnis des Monsieur Bouvet

Titel: Das Begräbnis des Monsieur Bouvet
Autoren: Georges Simenon
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wo gesungen und Verse aufgesagt wurden, in der Nähe des Boulevard Rochechouart.«
    »War er dort bekannt? Hatte er Freunde?«
    »Ja.«
    Leider konnte sie sich an die Namen dieser Cabarets nicht mehr erinnern. Die meisten hatten zwar nur Spießbürger unterhalten wollen, doch hatte es auch einige gegeben, in denen rauhere Töne angeschlagen wurden. Hier war schon von sozialer Gerechtigkeit die Rede gewesen, und hier hatten sich zu jener Zeit die Anarchisten getroffen.
    »Haben Sie mal etwas von Bomben gehört?«
    »Ja.«
    »Von Lamblot?«
    »Von ihm und auch von den anderen.«
    Es klopfte an der Tür, und der Inspektor brachte Lucas eine alte rosa Karte, die die Frau mit plötzlichem Erschrecken betrachtete.
    »Sie brauchen keine Angst zu haben. Das hier bleibt unter uns.«
    Sie war zweimal wöchentlich zur Untersuchung in dieses Gebäude gekommen, und zweifellos hatte man sie, wie es Brauch war, hin und wieder für eine oder zwei Wochen nach Saint-Lazare geschickt.
    »War Lamblot krank?«
    Sie sah die Karte in der Hand des Inspektors und wußte, worauf er hinauswollte.
    »Nein.«
    »Und Sie?«
    »Ich hatte Glück.«
    »Liebte Lamblot Sie?«
    »Ich weiß nicht.«
    Es brauchte gar nicht unbedingt Liebe gewesen zu sein. Vermutlich hatte er das Quartier Latin in einem plötzlichen Gefühl der Revolte, des Überdrusses oder des Ekels verlassen, ebenso wie er Roubaix verlassen hatte.
    Das Abrutschen zur Place Clichy war gar nicht so außergewöhnlich. Auch andere Söhne aus bürgerlichen Familien fühlten sich zu jener Zeit vom Montmartre angezogen, wo nicht nur Maler und Chansonniers, sondern auch Zuhälter eine magische Anziehungskraft auf sie ausübten.
    Einige von ihnen waren noch weitergegangen und hatten Terroristengruppen angehört, die Bombenanschläge auf den Wagen des Präsidenten und auf die Kutschen ausländischer Potentaten vorbereiteten.
    »Schrieb er?« Diese Frage fiel ihm plötzlich ein.
    »Ja.«
    »Bücher?«
    »Ich weiß nicht. Er schrieb viel. Er las seinen Freunden vor, was er geschrieben hatte.«
    »Erschien das jemals in der Zeitung? Denken Sie nach. Versuchen Sie, sich zu erinnern.«
    Wegen der Hitze begannen ihre Füße trotz der Filzpantoffeln zu schmerzen, und sie überlegte, ob sie es wagen könne, unter dem Schreibtisch, wo niemand sie sah, die Pantoffeln abzustreifen.
    Lucas, der auf diesem Gebiet Routine hatte, half ihrem Gedächtnis nach.
    »Verkehrte er nicht in der Rue Montmartre?«
    Einen Fuß hatte sie schon befreit. Nicht seine Worte verwirrten sie, sondern das, was sie gerade getan hatte. Und sie wiederholte:
    »In der Rue Montmartre?«
    Und bei diesem Namen fiel es ihr wieder ein.
    »Ja, in einem kleinen Buchladen …«
    Es gab ihn vielleicht immer noch. Auf jeden Fall war da der Treffpunkt der Anarchisten gewesen. Sie hatten dort Broschüren verkauft und eine kleine Zeitung gedruckt.
    »Waren Sie mit ihm dort?«
    »Ja.«
    »Was taten die Leute da?«
    »Sie diskutierten. Lamblot las ihnen etwas vor.«
    Sie hatte nichts davon begriffen. Schon damals hatte sie nichts begriffen. Ihr Geliebter verlangte das ja auch gar nicht von ihr. Er verlangte von ihr, sich zu prostituieren, Niedrigste der Niedrigen zu sein, weil das seinen damaligen Anschauungen entgegenkam. Und deshalb, um noch mehr mit allen bürgerlichen Konventionen zu brechen, hatte er sie weiter auf den Strich geschickt und ihr manchmal das Geld abgenommen.
    »Hat Mancelli ihn bedroht?«
    Es lag auf der Hand. Sie antwortete nicht.
    »Und Lamblot war bewaffnet?«
    Mit einem Klappmesser natürlich, denn Revolver waren da noch nicht Mode.
    »Waren Sie mit ihm im ›Moulin-de-la-Galette‹?«
    »Es war das einzige Mal, daß wir dort waren.«
    »Mancelli lauerte Ihnen beiden draußen auf. Lamblot hat ihn getroffen, und Sie sind geflüchtet. Wo waren Sie bis zum Morgen?«
    »Wir sind herumgelaufen.«
    »In Paris?«
    »In Paris, dann außerhalb. Wir haben die Stadt durch die Porte de Flandre verlassen. Wir kamen aufs Land und, als es schon hell war, zu einem kleinen Bahnhof, wo wir in den Zug einstiegen.«
    »Nach Belgien.«
    »Ja.«
    »Hatten Sie beide Geld bei sich?«
    »Sehr wenig. Nur so viel, daß wir zwei oder drei Tage das Hotel bezahlen konnten.«
    Sie hatten sich kaum versteckt und waren trotzdem nie gefaßt worden.
    »Sie nahmen einen anderen Namen an?«
    »Ja. Er meinte, ich sollte mich Blanche nennen und so tun, als sei ich seine Frau.«
    »Liebten Sie ihn?«
    Sie sah ihn stumm an, und zum ersten Mal, seitdem sie in seinem
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