Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Begräbnis des Monsieur Bouvet

Das Begräbnis des Monsieur Bouvet

Titel: Das Begräbnis des Monsieur Bouvet
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
schon Bouvet?«
    »Nein. Ich habe diesen Namen nie gehört. Ich habe ihn zum ersten Mal in der Zeitung gelesen. Er ist es aber trotzdem.«
    »Wie hieß er, als Sie ihn kannten?«
    Sie war unruhig, blickte wieder zum Bett.
    »Ich glaube, Sie sollten ihm lieber antworten, Mademoiselle Blanche.«
    »Er hat einen anderen Namen angenommen.«
    »Wann?«
    »Bevor wir Paris verließen.«
    »Unter welchem Namen haben Sie ihn denn kennengelernt?«
    »Gaston … Gaston Lamblot …«
    »Und danach?«
    »Hat er sich Pierron genannt.«
    »Warum?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Und Sie?«
    »In Brüssel nannten sie mich Madame Pierron.«
    »Waren Sie verheiratet?«
    Sie zögerte. Sie hatte die Kartoffel und das Messer immer noch nicht losgelassen, und Monsieur Beaupère hatte Angst, sie könne sich schneiden.
    »Nein. Aber die Leute dachten es.«
    »Was für Leute?«
    »Die Leute in dem Café.«
    Es war kein böser Wille dabei. Sie antwortete aufrichtig, aber ihre Gedanken brauchten Zeit, und es waren ganz einfache Gedanken, die sie nicht anders ausdrücken konnte.
    »Sie arbeiteten in einem Café?«
    »Ich servierte, und er arbeitete im Keller.«
    »Sind Sie sicher, daß Sie mir die Wahrheit sagen und daß Sie niemals verheiratet waren?«
    »Ja. Wir taten nur so.«
    »Sie hatten keine Kinder?«
    Sie schüttelte erstaunt, dann traurig den Kopf.
    »Was geschah dann?«
    »Er ging fort.«
    »Warum?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Wohin ist er gegangen?«
    »Er ging fort.«
    Es war sinnlos, in der Loge nach einem Telefon zu suchen, und so blieb dem in Gedanken versunkenen Monsieur Beaupère nichts anderes übrig, als durch den Regen zur nächsten Bar zu laufen.
    »Bringen Sie sie her«, antwortete ihm Monsieur Guillaume.
    »Es ist nur, ich weiß nicht, ob ich kann.«
    »Ist sie krank?«
    »Nein. Aber die Concierge ist krank. Sie pflegt sie.«
    »Gehen Sie zu ihr zurück, und warten Sie. Ich werde Ihnen jemanden schicken.«
    Er trank nichts, sondern begnügte sich damit, sich ein Lakritzbonbon in den Mund zu stecken. Er stellte den Kragen seiner Jacke hoch und lief dicht an den Häusern entlang. Seine Schuhsohlen hatten Löcher, und er bekam nasse Füße.
    »Sie werden jemanden schicken«, verkündete er.
    Und die alte Frau, die Kartoffeln schälte, fragte nur:
    »Wozu denn?«

8
    A uch im Gerichtsmedizinischen Institut brannte elektrisches Licht. Wo sie da eigentlich war, begriff sie nicht. Vielleicht dachte sie anfangs, sie sei in einem großen Verwaltungsgebäude. Dann, als sie die vielen numerierten Schubfächer sah, mochte sie annehmen, sie befinde sich bei irgendeinem seltsamen Großhändler.
    Monsieur Beaupère begleitete sie immer noch. Man hatte ihnen eine Krankenschwester geschickt, die bei der Concierge geblieben war. Nicht nur in der Loge, sondern in ganz Paris war es dunkel geworden. Die Wolken hatten sich so dicht zusammengeballt und waren von so tiefem Grau, daß es aussah wie an einem Winterabend. Der Regen fiel immer noch genauso heftig, und er fegte die Passanten von den Straßen. Der Himmel jedoch war immer noch nicht leer.
    Sie waren beide durchnäßt, obwohl sie ein Taxi genommen hatten. Und es geschah etwas Seltsames: Mademoiselle Blanche hatte ein kleines altmodisches schwarzes Hütchen aufgesetzt, das nur ihren Scheitel bedeckte, und darum herum war ihr weißes Haar ganz kraus geworden. Es sah aus wie ein Heiligenschein aus jenem hauchfeinen Gewebe, aus dem der künstliche Schnee auf den Weihnachtsbäumen besteht.
    Die Entdeckung, daß die metallenen Schubfächer menschliche Körper enthielten, überraschte sie so, daß sie eine Weile gar nicht reagierte. Dann, nach und nach, begriff sie, ihr Blick fiel auf Monsieur Bouvet, und ihre Finger verschränkten sich ineinander wie über einem Rosenkranz.
    Sie sagte kein Wort. Monsieur Bouvet hatte hier nicht mehr dasselbe Gesicht wie noch in seiner Wohnung am Quai de la Tournelle. Er hatte gar kein Gesicht mehr. Da waren nur noch unkenntliche Gesichtszüge, ein formloser Umriß, und niemand hätte mehr in seinem Mundwinkel ein Lächeln entdecken können.
    Der Beamte wollte das Schubfach wieder schließen, aber sie schaute immer noch mit ihren farblosen Augen, die sich mit Tränen füllten. Sie sah ihn jetzt sicher undeutlich, wie durch die Tropfen, die in ihrem Haar zitterten. Ihre Lippen bewegten sich lautlos.
    Die Tränen lösten sich, suchten in einer langen Zickzacklinie den Weg über ihr Gesicht, erreichten dann ihr Kinn.
    »Erkennen Sie ihn wieder?«
    Sie nickte. Immer noch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher