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Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima
Autoren: Franziska Wulf
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alles andere. Aber was fehlte ihr dann? Warum um alles in der Welt lag sie im Koma?
    »Und was jetzt?«, fragte Beatrice leise. Sie griff nach der schlaffen Kinderhand und streichelte sie behutsam, jeden einzelnen der kleinen Finger. »Was werden Sie jetzt tun?«
    »Wir werden Michelle überwachen und weiter nach der Ursache forschen. Wir werden gleich noch eine Rückenmarkspunktion durchführen, um eine auf das zentrale Nervensystem beschränkte Infektion auszuschließen. Aber vielleicht fällt Ihnen oder den Großeltern noch etwas ein, das uns weiterhelfen könnte. Vielleicht haben sie ja bei sich in der Wohnung eine exotische Pflanze oder Pilze im Garten, von denen Michelle ein Stück gegessen haben könnte. Irgendetwas in der Art. Etwas, woran wir nicht auf Anhieb denken würden.« Er fuhr sich durch sein kurzes lockiges Haar. »Wir werden auch noch unseren Psychologen hinzuziehen. Sollte sich allerdings Michelles Zustand innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden nicht bessern, werden wir sie zur Sicherheit in die Uni-Klinik verlegen. Auf der Kinder-Neurologie ist sie dann besser aufgehoben.«
    Beatrice runzelte die Stirn. »Was soll denn ein Psychologe bei Michelle?«
    Dr. Neumeier sah Beatrice ernst an. »Ihre Tochter liegt im Koma, Frau Helmer. Und wenn wir keine organische Ursache finden, kann es sich nur noch um ein seelisches Geschehen handeln. Zum Beispiel ein extremer Rückzug in die eigene Person als Reaktion auf einen Schock. Und dem müssen wir auf die Spur kommen, wenn sie wieder aufwachen soll.«
    Beatrice nickte. Natürlich gefiel ihr der Gedanke, einen Psychologen in ihrem Privatleben herumstochern zu lassen, überhaupt nicht. Es hatte immer den Beigeschmack von Misshandlung und Vernachlässigung, und welche Mutter ließ sich das schon gerne nachsagen. Abgesehen davon, was sollte sie dem Psychologen erzählen, wenn er Fragen nach dem Vater des Kindes stellte? Aber sie musste zugeben, dass Dr. Neumeier Recht hatte. Irgendeinen Grund musste es schließlich für das Koma geben. Vielleicht lag er ja doch in der Psyche des Kindes. Die Ärzte hier taten für ihre kleinen Patienten, was sie konnten. Michelle war ohne Zweifel in guten Händen.
    »Darf ich noch eine Weile bei ihr bleiben?«, fragte sie.
    »Natürlich«, antwortete Dr. Neumeier freundlich. »Ein paar Minuten. Ich muss ohnehin erst das Punktionsset vorbereiten.«
    Beatrice setzte sich auf den Bettrand und versuchte den Gedanken, dass eine dicke, harte Punktionsnadel in den Rücken dieses zarten Wesens geschoben werden sollte, um Gehirnwasser zu entnehmen, zu verdrängen. Ihr wurde schlecht davon.
    Sie streichelte das Gesicht ihrer Tochter. Es sah so friedlich aus. Gar nicht, als ob eine schreckliche, geheimnisvolle Krankheit das kleine Mädchen befallen hätte. Sie erinnerte sich an Dschinkim. Der Bruder Khubilai Kahns, den sie auf der zweiten ihrer seltsamen Zeitreisen in China kennen gelernt hatte, war ebenfalls ins Koma gefallen. Doch er hatte dabei nicht annähernd so friedlich ausgesehen. Seine Gesichtsfarbe war gelb gewesen, er hatte seltsam und unregelmäßig geatmet, und seine Reflexe waren vollständig erloschen. Allerdings war er auch vergiftet worden.
    »Wovon träumst du, meine Kleine?«, fragte Beatrice leise und küsste die Hand ihrer Tochter. »Wovon? Hoffentlich ist es etwas Schönes.«
    »Frau Helmer«, lautlos wie ein Schatten war die Schwester hinter ihr aufgetaucht, »Sie müssen leider gehen. Sie können nachher wieder bei ihrer Tochter sein, aber jetzt müssen wir die Rückenmarkspunktion durchführen.«
    »Ich weiß. Wenn sich etwas ändert, zum Guten oder Schlechten, sagen Sie es mir? Ich bin vorne im Warteraum.«
    » Selbstverständlich.«
    Beatrice schlich den Gang zurück zur Schleuse. An einigen der kleinen Betten standen Gestalten in den gleichen langen Kitteln, wie sie einen trug. Eltern, die das Schicksal mit ihr teilten. Die ebenfalls hofften und bangten und warteten, voller Verzweiflung, voller Verbitterung.
    Sie zog den Kittel aus und betrat wieder den Warteraum.
    Fast synchron hoben ihre Eltern die Köpfe.
    »Und?«, fragte ihre Mutter mit vor Angst weit aufgerissenen Augen. »Was sagt der Arzt? Haben sie herausgefunden, was mit Michelle los ist?«
    »Nein«, antwortete Beatrice und ließ sich müde und erschöpft in einen der Sessel fallen. »Sie wissen immer noch nicht, was ihr fehlt. Es ...«
    »Dann sollten wir Michelle in ein anderes Krankenhaus verlegen lassen«, fuhr ihre Mutter empört auf. »Du
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