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Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Das Auge der Dunkelheit (German Edition)
Autoren: Daniel Dekkard
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entkommen, Mister Finney.“
Hätte Leonard den Wortlaut auch nur eines Gebetes gekannt, dies wäre die Stunde, es unablässig vor sich hinzumurmeln. Er vermied, nach unten zu sehen, achtete, Stufe für Stufe, auf seinen Tritt, und darauf, dass der Strick locker durchhing. Das Herunterbeten glückbringender Beschwörungen übernahmen seine beide Wächter, während sie den Felsendom hinaufstiegen. Eiskalte Tropfen klatschen herunter, von oben dröhnte der Donner eines Unwetters. Die Totenglocke des Schwarzen Buddha.

Kapitel 66
    Arundhavis Fernglas glitt über den kahlen Fels der Gipfelregion.
„Nichts zu sehen. Sie müssen den Weg durch die Kobra-Höhle genommen haben.“
Befreit atmete Sen auf.
„Am Ende ein wenig Glück. Sie haben ihn nicht entdeckt.“
Verdutzt setzte Arundhavi das Glas ab.
„Was nicht entdeckt?“
    „Es gibt noch einen zweiten Weg. Außen, an der Ostflanke entlang. Bei diesem Wetter ist er gefährlicher als die Höhle. Aber dort geht es schneller voran. Vielleicht kommen wir noch rechtzeitig.“
„Trotzdem müssen wir uns beeilen“, wandte Manao ein und wies in den Himmel. „Es klart auf von Süden.“
Die Bedeutung seiner Worte wurde Arundhavi schmerzlich bewusst.
„Der Mond wird in dieser Nacht zu sehen sein. Eure Gebete waren umsonst, Meister Sen.“
„Ohnehin nur eine trügerische Hoffnung. Es wird heute geschehen. Ich habe es gesehen. Das Tor wird sich öffnen. Das Einzige, worüber ich keine Gewissheit habe, ist ...“
Die anderen sahen ihn gebannt an, bis es aus Arundhavi hervorplatzte.
„ Wer in die andere Welt hinüber gehen wird?“
Sen nickte. Doch nicht das wollte er sagen. Der Grund seiner Besorgnis zwang ihn, zu schweigen. Dazu mahnten ihn die Worte des jungen Engländers, der Brief seiner Eltern. Der Bericht von den fürchterlichen Verletzungen, die Arundhavis Bruder bei der Trance davongetragen und die Leonard Finney später an dessen Leiche entdeckt hatte. Ja, er fürchtete um den, der sich in das Jenseits hinüberwagte. Aber noch mehr fürchtete er das, was von dort in diese Welt kommen würde.
    Alles verschluckend wie eine tiefe Grube gefüllt mit flüssigem Teer saugte die vollkommene Dunkelheit sogar das Licht ihrer Taschenlampen ein. Vorsichtig schlossen sie das Fallgitter über dem Schacht, dem sie entstiegen waren, nach Atem ringend. Sie hatten die untere Ebene der Felsenpagode erreicht, bekämpften die Krämpfe in Wade und Ferse, von tausend steilen Stufen in die Muskeln gehämmert. Für Minuten lagen sie keuchend auf dem kalten Stein. Leonard dachte an Meister Sens Beschreibung der Pagode, ihren Aufbau als Sinnbild für den geistigen Aufstieg des Menschen. Nach der Schinderei die Treppe hinauf befanden sie sich nun auf der untersten Stufe. So konnte das, was sie hinter sich gelassen hatten, aus dem sie gerade emporgekrochen waren, nur die Hölle sein. Vielleicht, dachte er, verfolgten jene, die dieses Heiligtum einst anlegten, auch eine andere Absicht. Die sich wie der Körper einer Schlange aufwindende Treppe stellte eine Art Nabelschnur dar. An der entlang sie über den schmalen Zugang ins Leben geboren wurden. Diese Vorstellung drang tief in seine Seele und beruhigte ihn für einen Moment. Dies konnte kein Ort des Bösen sein. Aber um das Bild zu vervollständigen, hätten sie von Licht empfangen werden müssen. Statt von dieser an die Tiefen des Weltalls gemahnenden, absoluten Finsternis. Wieder nur eine einfache Umkehrung der Symbolik?
„Es muss hier irgendwo Licht geben.“
Die Verwunderung der anderen hörte Leonard förmlich. Sie wuchs ins Grenzenlose, als sich, kaum hatte er die Worte ausgesprochen, der Raum langsam erhellte. Rot glänzende Strahlen sanken von allen Seiten in die aus Ziegeln gemauerte Halle. Ihre Quelle lag für sie unsichtbar jenseits der verschachtelten Decke, die aus gegeneinander versetzten Platten bestand. Schummriges Licht umgab sie, genug, um Einzelheiten erkennen zu können. Kavenay saß noch auf dem Boden und rieb mit beiden Händen seine linke Wade.
„Mister Finney, Sie haben was Messianisches an sich.“
Miss Nemsky erhob sich und lugte durch die Spalte, die zwischen den Deckenplatten klafften.
„Es hat eine natürliche Ursache. Es ist das Licht der Sonne. Nur wenn sie sinkt, fällt es oben durch einen Schacht.“
Mit einem triumphierenden Gesichtsausdruck drehte sie sich zu den anderen um.
„Und es bedeutet gleichzeitig, dass sich die Wolken verzogen haben.“
„Es bedeutet aber auch“, ergänzte
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