Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das alte Haus am Meer

Das alte Haus am Meer

Titel: Das alte Haus am Meer
Autoren: wentworth
Vom Netzwerk:
plausibel. Wahrscheinlich hat es sich ungefähr so abgespielt. Dale Jerningham hätte die Frau doch nicht im Beisein einer Dritten die Klippen hinabgestoßen. Es sei denn, sie wäre eine Komplizin gewesen. Aber dann muss das Ganze geplant gewesen sein, und die speziellen Umstände in diesem Fall machen eine Planung unmöglich. Nein, er muss die Cole zufällig gesehen haben. Er sah eine schlanke Frau mit blonden Haaren und der Jacke seiner Frau. Und er muss impulsiv gehandelt haben, unter dem plötzlichen Schock einer unvorhergesehenen Gelegenheit. Später erst muss ihm aufgegangen sein, wie unwahrscheinlich es war, dass Mrs Jerningham sich dort aufhielt. Und die Tatsache, dass Pell ihm begegnet war, musste ihm klar machen, dass er sich geirrt hatte. Aber ich glaube, er hatte gar keine Zeit zum Überlegen. Er hatte vor, seine Frau umzubringen, und glaubte, dies wäre eine Gelegenheit, und so nutzte er sie. Das Ganze dauerte wahrscheinlich nur einen Augenblick. Er musste wirklich nicht lange außer Sichtweite von Lady Steyne gewesen sein. Was sie später dachte oder spekulierte, ist eine andere Sache.«
»Was für eine schockierende Geschichte«, sagte Miss Silver.
    49

    Dale Jerninghams Leiche wurde am Riff unterhalb der Shepstone-Felsen angespült. Bei der gerichtlichen Untersuchung wurde Tod durch Flugzeugabsturz festgestellt. Mrs Jerningham war nicht anwesend. Es hieß, sie läge vor Kummer darnieder. Als sie sich erholt hatte, reiste sie zu Freunden nach Devonshire. Devonshire ist weit weg.
    Mr Tatham erneuerte sein Angebot für Schloss Tanfield und den dazugehörenden Grund. Der Erbe, Rafe Jerningham, nahm das Angebot an. Selbstverständlich konnte der Kaufvertrag erst nach der gerichtlichen Testamentsbestätigung zum Abschluss gebracht werden.
    Miss Maud Silver kehrte nach London zurück, wo ihre ganze Aufmerksamkeit sogleich von dem Fall des Mr Waley und der russischen Ikone in Anspruch genommen wurde. Waley war natürlich nicht sein wirklicher Name. Die Sturmwolken über dem europäischen Himmel türmten sich immer höher. Der Juli ging in den August über, und der August in den Krieg. Der Tod von Cissie Cole und Dale Jerningham verblasste neben den welterschütternden Ereignissen. Niemand dachte mehr an sie.
    An einem Tag, als der Winter sich dem Frühling zuneigte, betrat Rafe Jerningham ein Zimmer in einer Londoner Wohnung. Er war gekommen, Lisle zu besuchen, die er seit ihrer Abreise von Tanfield nicht mehr gesehen hatte. Wie bereits erwähnt, liegt Devonshire weit weg. Und Lisle war weit von ihm entfernt. Zwischen ihnen standen die Tragödie, der Verwandtschaftsgrad, all die Dinge, die zugleich Distanz schaffen und sie wieder aufheben. Er hatte ihr geschrieben, und sie hatte ihm geschrieben. Er wusste, wohin sie fuhr, wann sie sich zum ersten Mal wieder aus dem Haus begeben hatte, wie freundlich die Pearses zu ihr waren und dass am Neujahrstag die Veilchen an der Südmauer blühten. Solche Neuigkeiten befriedigen nicht gerade den Hunger im Herzen eines jungen Mannes. Und bald würde er auch darauf verzichten müssen; denn Lisle selbst würde weg sein. Es war nur natürlich und unvermeidbar, dass sie nach Amerika zurückkehrte. Und einmal dort, würde sie auch bleiben. Sie würde wieder heiraten. Ihre Briefe würden seltener werden, sich schließlich auf ein paar Zeilen zu Weihnachten beschränken, und schließlich nicht einmal mehr das. Irgendwann vielleicht nur noch eine Karte mit ihrer neuen Unterschrift.
    Die Tür ging auf und sie trat ein.
Sie trug Grau und hatte ein kleines Sträußchen Veilchen angesteckt. Keine, wie man sie kaufen konnte. Sie musste
    sie aus Devonshire mitgebracht haben. Sie waren klein und dunkel und sehr süß. Ein weißes war dabei. Er betrachtete die Veilchen, weil es einen Moment lang gar nicht einfach war, Lisle anzusehen.
    Sie gaben sich die Hand. Das einzige Mal, das sie sich bisher die Hand gegeben hatten, war, als Dale sie zuerst mit nach Tanfield gebracht hatte. Es erschien seltsam formal, als sie es jetzt taten. So seltsam, dass ihm nichts einfiel, was er hätte sagen können. Er war einigermaßen durcheinander, und er wusste nicht, wie es ihr erging.
    Sie dachte: »Warum schaut er so? O Rafe, bist du krank? Oder hasst du mich wirklich? O Rafe, warum ?« Aber das spielte sich in ihrem Inneren ab. Ihre Lippen sagten sofort all die höflichen Dinge, die man sagt, wenn man sich länger nicht gesehen hat. »Wie geht es dir?«, und, »Was hast du so gemacht?«, und »Ist es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher