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Darling

Darling

Titel: Darling
Autoren: Hanna Hartmann
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des unter der Erde liegenden historischen Bauwerks vereinbart worden. Die perfekte Symmetrie des Gewölbes, diese Wucht der Backsteine, hatte Adrian damals zutiefst beeindruckt. Die Bögen des tonnenartigen Gewölbes über dem braunen Brackwasser hatten ihn an eine langsam im Sumpf versinkende Barockkirche erinnert. Für ihn zeugten die schweren, symmetrisch angeordneten Eisenketten der Geigerschen Fabrik GmbH Karlsruhe, die die Eisentore vor den Abwassergruben öffneten und schlossen, von einer anderen, längst vergangenen Zeit.
    Adrian erinnerte sich an den modrig-kühlen Luftzug in der Gewölbehalle aus roten Backsteinen. Vor den Klärsieben des Sandfangs musste um die Jahrhundertwende ein barbarischer Gestank geherrscht haben. Hier waren die Abwässer und Fäkalien der damals rasant wachsenden Stadt durchgeleitet worden, damit sich die schweren mineralischen Stoffe am Boden absetzen konnten. Sechs bis zehn Männer waren ständig damit beschäftigt gewesen, die Siebe mit langen Rechen zu reinigen. Die widerlich stinkende Brühe floss anschließend in die lang gezogenen Absetzbecken der Anlage.
    Als Adrian das Klärwerk besichtigt hatte, war ihm ein großes Schwarz-Weiß-Foto an der Seitenwand des Gewölbes aufgefallen, das die Arbeiter der Kaiser-Wilhelm-Zeit beim Reinigen der Siebe mit ihren langen Holzrechen zeigte. Ihre schwarzen Stiefel reichten bis zu den Oberschenkeln. Aufrecht standen sie vor einem Seilzug mit langen Stahlketten. Nur ihre Augen wirkten müde und ausgebrannt. Vom sogenannten „Stolz der Arbeiterklasse“ war auf diesem Foto nichts zu spüren.
    1960 hatte das leistungsfähigere überirdische Klärwerk dann seinen Betrieb aufgenommen. Und die unterirdische Anlage war langsam aber stetig aus dem Bewusstsein der Stadtbevölkerung versunken.
    Adrian hatten die Luftblasen fasziniert, die damals hier und da mit leisem Blubbern aus den Rückhaltebecken aufgestiegen waren.
    „Woran denken Sie?“ Lasziv hatte sich die hübsche Praktikantin der Event-Agentur über das noch nicht einmal hüfthohe schmale Geländer, das die Becken umsäumte, gelehnt.
    „Ehrliche Frage, ehrliche Antwort?“
    Die Blondine hatte wissbegierig genickt.
    „Ich frage mich die ganze Zeit, ob das das Blubbern einer Ratte oder einer Leiche ist“, hatte er die Praktikantin damals augenzwinkernd angegrinst.
    Angewidert hatte sie sich abgewandt, um mit eiligen Schritten zur Gruppe zurückzueilen und umgehend seine Bemerkung zum Besten zu geben. Alle hatten auf Adrian geschaut, der grinsend am Stahlgeländer lehnte.
    „Woran denken Sie?“
    „An Ratten und Leichen“, hörte er sich sagen.
    Erst als sein Fahrgast vor Lachen losprustete, kehrte Adrian in die Gegenwart seines Taxis zurück.
    „Sie sind ja wirklich ein fantastischer Gesprächspartner“, stellte die Unbekannte mit einem leicht ironischen Unterton fest.
    Adrian drehte sich zu ihr um. Sein Blick glitt über lange, schwarze Lederstiefel, über einen hochgeschlossenen Mantel bis hin zu ihrem Gesicht. Er spürte, wie sich sein Pulsschlag merklich beschleunigte. Was machte ihn nur so sprachlos? Spöttisch verzog sie die Mundwinkel.
    „Lyoner Straße, Haupteinfahrt. Direkt vor dem Umspannwerk der Mainova. Der Werkschutz weiß Bescheid“, lächelte sie.
    Adrian nickte und konzentrierte sich auf die Straße. Zügig glitt das Taxi am Theodor-Stern-Kai entlang Richtung Niederräder Ufer. Schon weit vor dem Ziel sah man den beleuchteten Turm des Heizkraftwerks. Als er vor dem Haupteingang anhalten wollte, glitt die Schranke wie von Geisterhand nach oben.
    „Die nächste Straße rechts, dann wieder rechts und dann immer geradeaus bis zum Ende. Dort steht ein kleines Jugendstilhäuschen. Da halten Sie“, wies sie ihn mit klarer Stimme an.
    „Morgen früh um vier holen Sie mich genau hier wieder ab. Dann regeln wir das Finanzielle.“
    Adrian fühlte nicht den geringsten Widerstand in sich aufkeimen. Er würde morgen früh pünktlich mit dem Taxi hier am vereinbarten Ort auf sie warten.
    In dem Moment fiel ihm siedendheiß ein, dass er vergessen hatte, Sissi den Fahrzeugwechsel auf die drei-fünf-drei zu melden. Das Wortgefecht mit Annika hatte ihn völlig aus dem Konzept gebracht. Das würde sicher mächtig Ärger mit der Chefin geben, wenn er sich plötzlich mit dem Wagen von Karl in der Zentrale zurückmelden würde.
    Im fahlen Licht der Straßenbeleuchtung tauchte das von der Frau beschriebene Haus vor dem Taxi auf. Als Adrian den Wagen stoppte, blieb sie mit einem
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