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Darling

Darling

Titel: Darling
Autoren: Hanna Hartmann
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prallte zurück.
    Die Frau in der Tür stutzte.
    „Wo ist Karl?“
    Adrian senkte schuldbewusst den Kopf.
    „Karl ist krank. Ich soll Sie fahren.“
    Die Frau im schwarzen Mantel zögerte. Dann musterte sie ihn aufmerksam von Kopf bis Fuß.
    Adrian fühlte sich ihrem Röntgenblick völlig ausgeliefert. Sehnsüchtig wünschte er sich seine Zigaretten herbei. Doch die Schachtel lag Lichtjahre entfernt im Taxi. Er schaute hoch, und sein Blick traf auf zwei große graublaue Augen, die ihn hellwach von Kopf bis Fuß rasterten.
    Erst als die Stille durch ein weit entferntes Telefonklingeln unterbrochen wurde, ließ Adrians Schockstarre nach. Annika, schoss es ihm durch den Kopf, und er drehte sich zum Taxi um. Die Frau musterte ihn spöttisch. Unschlüssig blieb er stehen.
    „Wo soll ich Sie hinfahren?“ Unsicher schaute er zu ihr.
    „Wie wäre es mit einer Reise in den Untergrund?“
    Ihre Lippen umspielte ein amüsiertes Lächeln. Die Stimme der Frau traf Adrian mit voller Wucht. Ein Schauer rieselte seinen Rücken herunter.
    „Ist Ihnen kalt?“, fragte sie kühl und ging, ohne die Antwort abzuwarten, an Adrian vorbei zum Taxi. Dort blieb sie stehen.
    „Wollen Sie mir nicht die Tür aufhalten?“ Ihrem fordernden Unterton hatte Adrian nichts entgegenzusetzen, ihre Frage duldete keinen Widerspruch.
    Flink eilte er zum Taxi und riss die hintere Wagentür auf. Als sie sich setzte und lasziv die Beine übereinanderschlug, umfing ihn für einen Moment ein Hauch von Prada. Verwirrt schaute er zu der Frau herab. Warum irritierte ihn diese Unbekannte so maßlos? Er war sich hundert-, nein tausendprozentig sicher, sie nie zuvor gesehen zu haben. Trotzdem kam es ihm vor, als hätte er ein Déjà-vu.
    Was konnte es nur sein? An das trostlose Wohnhaus aus den sechziger Jahren mitten in Griesheim hätte er sich sicher erinnert; er vergaß selten eine Adresse. Für die Frau galt das Gleiche.
    Adrian stieg in den Mercedes und drehte sich zu ihr um.
    „Hat die Unterwelt auch einen Straßennamen?“
    Er wollte ironisch wirken, doch seine Stimme klang völlig verunsichert.
    Die Frau lachte.
    „Fahren Sie mich zum Niederräder Klärwerk. Haupttor. Und bitte beeilen Sie sich. Ich bin schon mindestens eine Viertelstunde zu spät.“
    Adrian griff zum Taxameter.
    „Was soll das?“, fuhr sie ihn schroff an.
    Irritiert schaute er in den Rückspiegel. Ihr durchdringender Blick duldete keinen Widerspruch.
    „Ich zahle morgen früh. Das ist so mit Karl vereinbart. Ich setze natürlich Ihr Einverständnis in die bestehenden Geschäftsbedingungen voraus.“
    Die Ansage war kühl und klar. Adrian nickte und startete den Motor.
    „Rauchen Sie?“, fragte er, nachdem sie ein paar Meter gefahren waren.
    „Nein. Warum? Rauchen Sie?“
    Er nickte und blickte auf die Mainzer Landstraße. Niemals zuvor hatte er in so durchdringende und wache Augen geschaut. Er fühlte sich wie unter einem hochauflösenden Röntgengerät. Was natürlich Quatsch war. Trotzdem lag in den Augen der Frau etwas, das ihn an Voodoo und Magie erinnerte. Schweigend fuhr Adrian über die Mainzer Landstraße. In Höhe des Ordnungsamtes wagte er einen vorsichtigen Blick in den Rückspiegel. Sie telefonierte mit leiser Stimme. An ihrem Handy klimperte ein zierliches Amulett. Wie diese japanischen Glücksbringer, mit denen Jugendliche ihre Mobiltelefone zu individualisieren pflegten. Das Pandora-Armband an ihrem Handgelenk war ausgesprochen geschmackvoll zusammengestellt. Annika schwärmte von dieser Art Schmuck, doch er konnte es sich nicht leisten, ihr diesen ausgefallenen Wunsch zu erfüllen.
    Die glänzenden, dunklen Haare der Frau waren streng nach hinten gekämmt und hochgesteckt. Als sie für einen Moment die Augen schloss, um sich auf das Telefonat zu konzentrieren, schmiegten sich ihre Wimpern wie ein Seidenvorhang auf ihre Wangen. Der schön geschwungene Mund war perfekt geschminkt. Wie alt mochte sie sein? Ende dreißig, Anfang vierzig vielleicht?
    „Nein, nein, ich bin in zehn Minuten da. Der Taxifahrer hat’s verpeilt. Kein Problem. … Dann dreh mit Patricia die Szene im Aquarium. Nein, der Techniker hat die Elektrik gecheckt, die Verkabelung ist neu. … Nein. … Nein, keine Sorge. Mit Frau Dr. Brückner ist wie immer alles vereinbart. Ich zahle am Mittwoch. … Ja. … Ja, ich dich auch.“
    Als sie auflegte, schaute sie ihm unvermittelt über den Rückspiegel in die Augen. Adrian fühlte sich ertappt. Spöttisch schob sie ihre rote Unterlippe nach
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